„Verschärftes Relaxen“

Der Weg ist das Ziel: Wer mit dem Reisebus quer durch Europa fährt, muß entweder wenig Geld oder einen ausgeprägten Leidenswillen haben  ■ Von Kirsten Niemann

Es war eines dieser berühmten Angebote, die man unmöglich ablehnen kann: Schlappe 300 Mark sollte die Hin- und Rückfahrt mit dem Baltic Linienbus nach Palanga (Litauen) kosten. Ein Preis, für den sich eine 24-Stunden-Ochsentour von Erfurt über Leipzig, Potsdam, Warschau und Kaunas schon lohnen kann. Die auf 30 Stunden veranschlagte Fahrtzeit gilt natürlich nur für den Fall, daß nichts Unvorhergesehenes dazwischen kommt.

„Eine Stunde lang standen wir uns die Beine in den Bauch“, erinnert sich die Passagierin Kathrin Zauther, die in Potsdam in die Baltic-Linie zustieg. „Doch der Bus hing im Stau fest. Und als er endlich kam, gab's Probleme mit dem Stoßdämpfer, und ein Rad mußte repariert werden.“

Busreisen stehen in einem zweifelhaften Ruf. Im englischsprachigen Ausland benutzt man sogar, höchstwahrscheinlich um diverse Unbequemlichkeiten zu beschönigen, für den stinknormalen Reisebus den euphemistischen Ausdruck „Kutsche“ (Coach). Damit kann der unvoreingenommene Fahrgast dann so etwas, wie „Behaglichkeit“ assoziieren. Ein Gefühl, daß es auf diesen Reisen jedoch im Grunde genommen gar nicht gibt. Denn die in bezug auf Busreisen allgemein vorherrschenden Befürchtungen, daß man eingequetscht neben einem übelriechenden Mitfahrer sitzt, dabei weder rauchen, essen, noch anständig lesen kann, sich dafür aber die schrecklichste Musik anhören muß, sind durchaus berechtigt. Selbst Videofilme (auf dem Weg nach Litauen: „Helden ins Strumpfhosen“), modernste WC- Anlagen und sogenannte „Schlafsessel“ können nichts daran ändern. In Zahlen läßt sich der gebotene Bus-Komfort übrigens folgendermaßen ausdrücken: Dreisternefahrzeuge bieten 77 Zentimeter Sitzabstand bis zum Vordersitz, Viersternefahrzeuge sogar 83. Doch am Ende ist es eigentlich völlig wurscht, wieviel Beinfreiheit man hat, denn eng ist es immer.

Platzmangel, verkeimte Toiletten, Frösteln bei laufender Klimaanlage, Verzögerungen an den Grenzübergängen und Ärger mit überzähligen Koffern gehören praktisch genauso zu diesen Fahrten wie aufblasbare Nackenstütze und Thermoskanne ins Handgepäck. Schlimm genug, daß Kathrin Zauthers Reisebus nach Palanga schon randvoll war, ehe er in Potsdam ankam. Die Doppelsitze waren besetzt von Einzelreisenden mit Zusatzgepäck. „Nur mit einiger Mühe fand sich schließlich eine Frau, die ihren Platz tauschte, damit ich mit meinem Sohn in einer Reihe sitzen konnte.“ Und mit den versprochenen modernen sanitären Anlagen sei das auch so eine Sache gewesen. „Bevor es losging, hat uns der Busfahrer erst einmal gebeten, nicht so oft pullern zu gehen.“ Wegen des drohenden Wassermangels und der Gefahr, daß das Klo überläuft. Mal ehrlich: In Zeiten, in denen die Welt immer kleiner wird, und man schon ab 499 Mark nach New York fliegen kann, erscheinem einem Transportwege wie diese als etwas total Anachronistisches. Nur Masochisten, Leute mit Flugangst oder die ganz armen Teufel, die auf jeden Pfennig achten müssen, können heute noch so leidensfähig sein.

Von einem besonders ausgeprägten Leidenswillen kann bei Christian Löw, dem Organisator für Charter-Busreisen des alternativen Prima Klima-Reisebüros in Schöneberg, keine Rede sein. „Verschärftes Relaxen“ – so lautet denn auch der Slogan, mit dem Prima Klima für ihre Bustouren werben. Während die Linienbus- Unternehmen dank ihrer unschlagbaren Preise in der Regel eher als „Arme-Leute-Kutschen“ sind, besteht die Klientel der Charter-Unternehmen meistens aus preisbewußten Rucksacktouristen.

„Der Weg ist schließlich das Ziel“, so lautet Christian Löws Devise. „Wir machen eine Party an Bord, schon direkt nach der Abfahrt“, schwärmt der 31jährige, der früher selbst gern und regelmäßigen an Monstertouren bis nach Südspanien teilgenommen hat. Busfahrten als Event, sozusagen. Und der wesentliche Unterschied vom Charter- zum Linienbus sei der, daß man sich auch schon mal über zwei Sitze legen dürfe, sofern nicht alle Plätze belegt sind. „Im Linienbus darfst du doch nichts machen. Du darfst ja nicht mal was essen, damit du nicht die Sitze bekleckerst.“

Das Busreisen, soviel muß man den unerschrockenen Fans zugestehen, scheint vor allem eine Frage der inneren Einstellung zu sein. Löw genießt bei den langwierigen Busfahrten gen Süden vor allem, „daß man zusehen kann, wie das Wetter besser wird“. Der allmähliche Wandel von Landschaft, Vegetation, den Menschen und des Klimas hat immerhin eines zur Folge, nämlich daß „man sich ganz anders auf sein Ziel einstellt“. Ein Aspekt, der unbedingt für Busreisen spricht, und den Frau Zauther gewißt sogar bestätigen kann. Wer will es da noch riskieren, durch einen simplen Zweistundenflug einem Kulturschock zu erliegen?