■ Warum wird den Deutschen weiter der Zugang zu neuen Bestattungsformen verwehrt?: Postmortale Sternschnuppen am Nachthimmel
Um gute 40.000 Mark hat vor drei Jahren ein Ostberliner Professor seine Erben geprellt. Der Mann wollte wenigstens nach seinem Tode kein Stino und in einem Sarg oder einer Urne auf einem deutschen Friedhof begraben sein. Die Perspektive, auf einer Streuwiese als Rasendünger zu dienen, erschien ihm ebenfalls wenig verlockend. Deshalb verfügte er, nach erfolgter Verbrennung seine Rückstände über dem Ärmelkanal verschütten zu lassen. Als Vorbild diente ihm Friedrich Engels, dessen Asche seit über einhundert Jahren irgendwo zwischen Calais und Dover die Sedimentschicht verstärkt. Doch damals war postmortale Individualität billig zu haben. Leichenblaß soll der strafberentete Professor geworden sein, als er hörte, was eine Seebestattung heute kostet. Ein Zurück gab es für ihn trotzdem nicht.
Es ist eine traurige Tatsache: Wer dem deutschen Friedhof und somit überwiegend unangenehmen Nachbarn entgehen will, muß tief in den Beutel greifen und hinaus aufs Meer. Gegner des deutschen Bestattungsrechts kritisieren seit langem dessen starre Regeln. Was spricht dagegen, so fragten sie, die Oma einfach in der Urne mit nach Hause zu nehmen? Oder den Opa? Wäre das in Zeiten des allgemeinen Werteverfalls nicht sogar familienfördernd? So könnten die Ahnen dabeisein, wenn Caroline Reiber die Hitparade der Volksmusik präsentiert. Das hatten sie doch immer gern gesehen. Und zwischen Omas Sammeltassen oder Opas Sportpokalen fänden die Gefäße mit den Resten der Lieben allemal einen besseren Platz als in einem kalten, deponiegleichen Grab.
Doch deutsche Bürokraten verhindern weiterhin eine Individualisierung der Bestattungskultur. Selbst die neue, vor wenigen Wochen erstmals praktizierte Variante der kosmischen Beisetzung bleibt den Menschen zwischen Rhein und Oder gesetzlich verwehrt. Dabei dürfte dieses Verfahren – eine Offerte des amerikanischen Unternehmens „Celestis“ – hygienisch kaum zu beanstanden sein: Sieben Gramm Asche des jeweiligen Kandidaten – der Rest wird irgendwo untergegraben – kommen in lippenstiftgroße Urnen, die eine Rakete als Sammelfracht in den Weltraum befördert. Dort werden die zierlichen Behälter ins Freie entlassen. Als zwei der ersten Posthum-Astronauten kreisen jetzt der Star-Trek-Erfinder Gene Roddenberry und der LSD-Pionier Timothy Leary um unseren Planeten. Leary hat sich begeistert geäußert über die Chance, für umgerechnet 8.500 Mark „endlich frei im Universum reisen zu können“.
Die Nachahmer stehen schon Schlange. So hat Rußlands Präsident Boris Jelzin seiner Kosmosbehörde den Eilauftrag gegeben, kosmische Ganzkörperbestattungen nach russisch-orthodoxem Ritus vorzubereiten. Der Kreml- Chef läßt es sich nicht nehmen, auch hier der erste zu sein. Laut testamentarischer Verfügung will er nach seinem Tode in einen Platin- Birkenholz-Sarg auf eine geostationäre Bahn geschossen werden. „Das sind wir Rußlands Ruf als Raumfahrtnation schuldig“, ließ der Präsident wissen, der auch die Techniker auf seiner Seite hat. Sie freuen sich, nun doch noch ihre 17 Millionen PS starke Rakete „Proton“ in den Himmel schicken zu können, die seit dem Abbruch des Raumfährenprogramms „Buran“ nutzlos in den Hangars liegt. Bis zu 7.000 Särge, so haben Spezialisten aus dem sibirischen Omsk hochgerechnet, könnte die „Proton“ auf einen Ritt transportieren. Sie gilt als verläßlicher kosmischer Lastenesel und bietet den Vorteil, daß sie mit billigem kasachischem Rohöl betankt werden kann.
Die Russen wittern deshalb ein gutes Geschäft – und auch strategischen Vorteil. Denn die Aktion „Ewiges Licht“ könnte nebenei der militärischen Täuschung dienen. Nato-Experten warnen schon jetzt, es sei mit herkömmlichen Mitteln kaum erkennbar, wenn Moskau im Schutz der Särge Spionagesatelliten plaziert.
Eines aber ist sicher: Die neuen Bestattungsformen werden kaum kosmischen Schrott hinterlassen. Da weder Urnen noch Särge über eigene Triebwerke verfügen, stürzen sie irgendwann von ihrer Orbitalbahn zur Erde herab und verglühen in der Atmosphäre. Dafür sorgt die Gravitation. Am Nachthimmel tauchen die Toten dann für einen kurzen Moment noch einmal als Sternschnuppen auf – auch über Deutschland, wo man ansonsten bestattungsmäßig das Nachsehen hat. Johannes Brauer
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