Zweifel an Italiens Rolle in Albanien

■ Rom fordert eine Ausweitung des UN-Mandats, der Verteidigungsminister droht vorsorglich mit Abzug. Flüchtlinge aus Albanien berichten von Provokationen

Bari (taz) – Die Informationen schienen auf den ersten Blick absurd: Der neue Strom von Flüchtlingen aus Albanien käme den Italienern gar nicht so ungelegen, im Gegenteil: Eine Reihe von Agenten, die im Lande der Skipetaren zugange seien, hätten die Aktion zumindest ermutigt, wenn nicht gar angeschoben. So jedenfalls raunten einige Albaner, die vorige Woche aus dem Norden mit einigen Seelenverkäufern in Bari und Brindisi angekommen waren. Mit Schiffen, die wohl in Montenegro geklaut oder gemietet worden waren.

Warum aber sollte Italien, dessen Bevölkerung sich immer mehr gegen die Aufnahme von Immigranten aus dem Nachbarland jenseits der Adria sperrt, diesen neuen Strom von Tausenden „Profughi“ provozieren? „Ganz einfach“, sagt einer der Albaner, bevor er postwendend wieder auf ein Schnellboot verfrachtet wird: „Die Italiener wollen eine kräftige Ausweitung des UN-Mandats. Sie wollen nicht nur die Lebensmittelverteilung schützen, sondern sich für länger einnisten.“ Darum, so ein heimlich an Land gekommener und seither flüchtiger Mann aus Durres, haben italienische Gauner unter Duldung der Militärs mitgeholfen, viele Südalbaner in den Norden zu verfrachten und von dort auf die Flüchtlingsschiffe zu bringen.

Daß mittlerweile nicht nur einige Verschwörungstheoretiker solchen Aussagen Gewicht beimessen, liegt vornehmlich am immer undurchsichtigeren Verhalten der italienischen Regierung. Schon seit Wochen verlangt Verteidigungsminister Beniamino Andreatta, daß die Kriegsschiffe und die Truppen des Friedenskontingents, rund 5.000 Mann, in allen Häfen und an allen strategisch wichtigen Punkten auch im Norden stationiert werden.

Bisher sind lediglich der Flughafen von Tirana sowie zwei Häfen im Norden unter Kontrolle, während der Süden weitgehend „besetzt“ ist. Zudem fordern die italienischen Friedenshelfer auch Polizeikompetenzen. Nachdem einige albanische Niederlassungen italienischer Firmen angegriffen beziehungsweise geplündert worden waren, wollen italienische Politiker jetzt für massiven Schutz sorgen.

Und daß das mit der reinen „Hilfsfunktion für humanitäre Aktionen“ auch nicht ganz ernst gemeint ist, zeigt die jüngste Einlassung des Verteidigungsministers: Sollte die Regierung des Sozialisten Fino in Albanien stürzen, was nach dem Scheitern der Verhandlungen über Neuwahlen möglich ist, werde sich „die UNO-Friedenstruppe sofort zurückziehen“.

Für solche Sprüche, die noch dazu einer massiven Einmischung in die inneren Angelegenheiten Albaniens gleichkommen, hat der Verteidigungsminister zwar kein Mandat aus New York. Der Lapsus zeigt jedoch, wie die Italiener die Sache verstehen: Als ihren persönlichen Eingriff in Albanien, die UNO ist lediglich ein völkerrechtlicher Deckmantel. Schon vor Wochen hatte ein anderer Faux-pas für Aufregung gesorgt: ein Staatsekretär hatte in einer vertraulichen Kabinettsrunde – die jedoch aus Versehen in den Pressesaal übertragen wurde –, erklärt, daß „der Sturz des Präsidenten Berisha unser erklärtes Ziel ist, zumindest das der PDS“ (der Mehrheitsfraktion in der Regierung).

Regierungsstellen in Rom erklären das Vorpreschen des Verteidigungsministers so: Die Friedenstruppen seien entsandt und mit einem relativ kurzfristigen Mandat von maximal sechs Monaten ausgestattet worden, weil man im März noch davon ausgehen konnte, daß spätestens im Juni Neuwahlen stattfinden würden. Da sich die Aussicht immer mehr zerschlägt, müsse man klar sagen, was im Falle eines Nichteinhaltens des Wahltermins geschehe.

Einige Kommentatoren im Lande, so etwa in Liberazione, dem Organ der Neokommunisten und totalen Gegnern der Intervetion, vermuten jedoch, daß die italienische Regierung kalte Füße bekommt und nun auf größere Verstärkung durch andere Länder hofft. Nicht nur, daß sich die Situation in Albanien immer mehr verschärft. Erst gestern explodierte in der Hauptstadt Tirana erneut eine Bombe, diesmal auf dem Gelände der Soros-Stiftung. Soweit bislang zu sehen, ist diese erste UN-Aktion unter italienischer Führung bisher ein Blamage ersten Ranges.

Zuerst dauerte es wegen der schlechten Organisation schon Tage länger als geplant, bis die Italiener ihre Stützpunkte einnehmen konnten. Dann lief das Flaggschiff der Flotte, die „Vittorio Veneto“, auf Grund und mußte mühselig wieder freigeschleppt werden. Als dann vor einer der Soldatenunterkünfte Maschinengewehrfeuer zu hören war, flüchtete das ganze Kontingent in die Häuser – und man weiß bis heute nicht genau, ob da Scherzkekse am Werk waren, oder ob wirklich jemand die famose Friedenstruppe einschüchtern wollte. Werner Raith