Kohl will keine Demokraten treffen

Die deutsche Bundesregierung ordnet ihre Hongkong-Politik dem Wohlgefallen gegenüber Peking unter. Die Demokratische Partei ist enttäuscht über den Besuch des Bundeskanzlers  ■ Aus Hongkong Sven Hansen

Bundeskanzler Helmut Kohl hat bei seinem eintägigen Besuch in Hongkong keine demokratisch gewählten Politiker getroffen. Der Kanzler hat gestern nur mit dem künftigen Regierungschef Tung Che-hwa und dem scheidenden britischen Gouverneur Christopher Patten gesprochen. Dem Vorsitzenden der Demokratischen Partei, Martin Lee, gab Kohl erneut einen Korb. Lees Partei hatte im September 1995 die letzen Wahlen gewonnen und wird von Peking wegen ihrer kritischen Haltung geschnitten. „Kohl ist sich vielleicht nicht bewußt, daß ich von der Bevölkerung gewählt wurde“, sagte Lee gegenüber der taz. Die demokratische Partei wird nach dem 1. Juli nicht mehr im Parlament vertreten sein. Die chinesische Führung will den Legislativrat durch ein Peking-nahes Gremium ersetzen. China lehnt die demokratischen Reformen ab, die zur Wahl der jetzigen Legislative geführt haben. Schon bei seinem Deutschlandbesuch im Januar war Lee weder von Kohl noch von Außenminister Klaus Kinkel empfangen worden – ganz anders in Washington, als er im April mit US-Präsident Bill Clinton zusammentraf.

Mit Gouverneur Patten, einem Freund Kohls, kam der Kanzler dagegen zu einem Vieraugengespräch zusammen. Dabei soll es außer über Hongkong auch um Europa und Großbritannien gegangen sein. Patten war früher Vorsitzender der britischen Konservativen Partei. Bei dem Treffen mit Tung soll Kohl die Bedeutung Deutschlands für Hongkong hervorgehoben haben.

Deutschland wichtigster Handelspartner in Europa

Als wichtigster europäischer Handelspartner noch vor der Kolonialmacht Großbritannien ist Deutschland für die 6,3 Millionen Einwohner zählende Stadt im Süden Chinas der siebtgröße Handelspartner und fünftgrößte Investor.

Am 1.Juli wird Hongkong zu einer chinesischen Sonderverwaltungsregion. „Kohl hat vermieden, hier überhaupt jemanden zu treffen“, so ein europäischer Diplomat. „Hongkong ist für die deutsche Politik kein Thema, auch nicht für den Bundestag. Alles wird der Politik gegenüber China untergeordnet“, sagt Professor Werner Meissner vom Ost-West- Programm der Hongkong Baptist University.

Bonn hat sich bereits in den letzten Monaten nicht an einer gemeinsamen Aktion acht westlicher Staaten beteiligt, rund 40 nach Hongkong geflohene chinesische Dissidenten vor der Übergabe an China aufzunehmen und damit vor möglicher Verfolgung zu schützen. Offiziell bestreitet die Bundesregierung, überhaupt angefragt worden zu sein.

Diplomatische Kreise in Hongkong halten es allerdings für äußerst unwahrscheinlich, daß Bonn nicht gefragt wurde. Menschenrechtsaktivisten berichten von Anfragen beim Konsulat, wollen aber zum Schutz der Betroffenen keine Namen nennen.