■ Ökolumne
: Ökonomie des Schwarzfahrens Von Sönke Jahn

Neulich war Fahrkartenkontrolle am Hamburger U-Bahnhof Horner Rennbahn: 4.000 Fahrgäste kontrollierte man in der ab 18 Uhr für 6 Stunden abgeriegelten Haltestelle und fischte dabei 316 Personen ohne gültigen Fahrausweis heraus. Reine Routine, wie der Sprecher der Hamburger Hochbahn AG, der Betreibergesellschaft der U-Bahn, dem Hamburger Abendblatt später verriet. Mehr noch: „Wir haben viel Verständnis gehört.“ Denn viele Fahrgäste empfänden es als ungerecht, daß sie Geld für Fahrkarten ausgeben, während andere sich kostenlos befördern lassen.

Diesen Fahrscheininhabern schenkten an der Horner Rennbahn immerhin 24 von insgesamt 100 Hochbahn-Kontrolleuren ihre Aufmerksamkeit. So eine Razzia ist tatsächlich Dienst am zahlenden Kunden: Schließlich ist nichts frustrierender, als ein ehrliches Ticket zu ziehen und dann nicht kontrolliert zu werden. Denn dann hätte man ja doch schwarzfahren können. Zum Glück für die Kartenbeschauer tun dies einige. Gewiß würde es ihnen sonst um ihre Jobs bange werden, wenn sie niemanden mehr herauskrallen könnten, um ihm oder ihr kaltlächelnd 60 Mark sog. erhöhtes Beförderungsentgelt abzuluchsen.

An der Horner Rennbahn kommen diesmal bei 316 ertappten Fahrgeldhinterziehern bis zu 18.960 Mark zusammen. In 6 Stunden! Da müssen sich schon bedeutend mehr Einwohner einen ehrlichen Fahrschein aus dem Automaten ziehen, um die U-Bahn-Kasse so klingeln zu lassen. Trotzdem habe man durch die Fahrgeldhinterziehung noch Einnahmeverluste, die man seitens der Hochbahn mit 25 Millionen Mark beziffert. Eine Schätzung natürlich, denn die Zahl der Schwarzfahrer läßt sich nur über den Daumen peilen.

Angeblich fahre jeder Hamburger, statistisch gesehen, einmal jährlich ohne Billett. Allein in der U-Bahn würden deshalb für 17 Millionen Mark keine Fahrscheine verkauft. Zu diesem Einnahmeverlust addiert man flottweg auch die Personalkosten für die Kontrolleure plus deren Verwaltungskosten in Höhe von 13 Millionen Mark. Beides zusammen macht exakt 30 Millionen Mark Miese. Diese werden mit minus 5 Millionen Mark Einnahmen durch die extra teuren Straftickets verrechnet, und schon stehen die roten Zahlen.

Die Wahrheit aber ist, daß man in Hamburg niemals die mit 17 Millionen Mark bezifferten überzähligen Tickets verkaufen wird. Ebensowenig wie eine plattgedrückte Nase an einem Schaufenster statistisch als Nachfrage gewertet werden kann, ebensowenig kann man pro angenommenem Schwarzfahrer eine Fahrkarte berechnen. Schwarzfahrer hüpfen einfach in eine U-Bahn, die auch ohne sie fahren würde und die Alternative zu so einer Beförderungserschleichung ist nicht der Fahrschein, sondern der stramme Fußmarsch.

Bleiben also die 13 Millionen Mark tatsächliche Kosten, die der Beförderungserschleichung angelastet werden könnten: die für die Kontrolle. Das ist eine in der Tat stolze Summe, mit der aber immerhin auch Arbeitsplätze geschaffen werden für ansonsten eventuell nicht oder nur sehr schwierig woanders zu verwendende Kerle. Immerhin fahren sie mit 5 Millionen Mark Umsatz mehr als ein Drittel ihrer Kosten wieder ein; das klappt aber nur, solange sie genügend blinde Passagiere erwischen.

Unklar ist bislang, ob eine Verschärfung der Kontrollen, etwa mehr Bahnhofsrazzien wie die eingangs erwähnte, dazu führen würde, die Zahl der erwischten Schwarzfahrer und somit den Kontrolleursumsatz zu erhöhen. Schlimmstenfalls würden nämlich weniger Hamburger schwarzfahren, und somit wären noch nicht mal mehr die 5 Millionen Mark Schwarzgeld sicher. Aber ganz gleich, ob nun die vollen oder die um 4, 5 oder 6 Millionen Mark geschmälerten Kosten der Ticketjäger dem zahlenden Fahrgast nach den Regeln der Profitlehre auf die Karte geschlagen werden: Bei jährlich knapp 600 Millionen bezahlten Fahrten ist es nur der Bruchteil eines Pfennigs. Den Kontrolleuren ist der Sinn ihrer subventionierten Tätigkeit längst klar: Sie sollen nicht die Schwarzfahrerei verhindern, sondern die zahlenden Gäste bei Laune halten. It's Showtime: „Die Fahrausweise bitte.“