„Spirale des Elends durchbrechen“

■ Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, drogenpolitische Sprecherin der FDP, befürwortet die kontrollierte Heroinabgabe

taz: Wie bewerten Sie das Schweizer Heroin-Modellprojekt? Ist die ärztlich kontrollierte Abgabe ein funktionierendes Therapiemodell für Schwerstabhängige, die mit anderen Mitteln nicht mehr zu erreichen sind?

Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist ein Therapiemodell, das sich sehr positiv entwickelt hat. Nach den Eindrücken unseres Besuchs glaube ich, daß wir uns tatsächlich überlegen sollten, ein ähnliches Projekt auch in der Bundesrepublik zu ermöglichen.

Akzeptiert die Schweizer Bevölkerung diesen unkonventionellen Weg der Drogenpolitik?

Wissenschaftler, Ärzte und Drogenbeauftragte haben uns versichert, daß es in der Schweizer Bevölkerung eine sehr positive Resonanz gibt. Ihre Drogenpolitik ist ohnehin pragmatischer und nicht so ideologisch wie bei uns. Sie ist offen für neue Ansätze, wenn sie etwas zur Schadensbegrenzung beitragen kann.

Konkret: Was sind die Erfolge dieser Therapie?

Die soziale Integration der Heroinabhängigen hat sich deutlich gebessert. Sie arbeiten wieder, sie haben wieder eine Wohnung. Die Beschaffungskriminalität hat ganz klar abgenommen. Die gesundheitlich desolate Verfassung vieler Abhängiger hat sich gebessert und auch ihr psychischer Zustand. Die Spirale von Verelendung und Ausgegrenztsein konnte in vielen Fällen – wenn auch nicht in allen – durchbrochen werden.

Wird die FDP jetzt der Hamburger Initiative für ein ganz ähnliches Modellprojekt in Deutschland zustimmen?

Die FDP hat sich der Hamburger Initiative gegenüber schon bisher aufgeschlossen gezeigt. Alles, was wir jetzt in der Schweiz erfahren haben, bestärkt uns darin. Die ärztlich kontrollierte Heroinabgabe an Schwerstabhängige ist aber nur ein Schritt in der Drogenpolitik unter vielen. Die FDP wird im Juni einen drogenpolitischen Kongreß durchführen, und ich denke, daß wir dann der Fraktion empfehlen können, das Hamburger Modellprojekt zu befürworten.

Wird sich auch der Koalitionspartner in dieser Frage bewegen?

Auch Unionsabgeordnete haben an der Reise in die Schweiz teilgenommen und sind möglicherweise nachdenklich geworden. CDU und CSU sehen die Drogenpolitik stark unter der Zielvorgabe der Abstinenz. Die Heroinabgabe ist auf dem Weg zur Drogenfreiheit aber nur ein Zwischenschritt. Aber ich hoffe, daß sich auch die Union etwas bewegt.

Wenn nicht, würden Sie dann die Koalitionsdisziplin beiseite schieben und für das Hamburger Modellprojekt votieren?

Wir stehen am Beginn der Gespräche mit dem Koalitionspartner. Die Polizeipräsidenten in den Metropolen unterstützen uns. Sie wehren sich schon lange, daß sie keine Möglichkeit haben, mit den Schwerstabhängigen fertig zu werden. Die Politik muß endlich handeln. Ich hoffe, daß wir nicht gegen, sondern mit der Union Beschlüsse fassen. Interview: Manfred Kriener