Plüsch und glitzernde Sägespäne

Warum alle Kinder Clowns werden wollen: Open House im Circus Roncalli  ■ Von Silke Mertins

Der Mund kann einfach nicht anders. Er steht sperrangelweit auf. Die kleinen Fäuste haben den Zeigefinger der Mutter umklammert. Die Augen müssen etwas zusammengekniffen werden, denn ein starker Wind bläst durchs Mikro. Der Pantomime läuft mit aller Kraft dagegen an. Die Böe läßt abrupt nach, das Kerlchen verliert das Gleichgewicht und stolpert auf die am Rande der Manege sitzenden Kinder zu. Kreisch! Quietsch! Elterliche Finger werden losgelassen, um entzückt in die Hände zu klatschen.

„Soll ich Euch zeigen, was ein Pantomime noch alles kann?“fragt der dozierende Clown des Duos Les Frères Taquins. „Ja! Jaaaaa!“brüllt es zurück. Hier sind die Augen, die werden gerollt. Das sind die Ohren, die können wackeln. Dort das Herz. Will jemand sehen, wie es entflammt? Alle wollen. Liebe steigt hoch, bemächtigt sich des ganzen Körpers bis hinunter zu den Fußsohlen. Die rennen auf die blonde Begleitperson eines Kinderwagenbewohners zu, der die Gefühlswelle in aller Heftigkeit auf die Lippen gedrückt wird.

Doch, doch, ein Pantomime kann auch böse werden. Und intelligent gucken. Und ein blödes Gesicht machen. Was er nicht kann, ist aus einem geschlossenen Raum hinausfinden, also die Tür öffnen. An den Wänden hangelt er sich entlang. Die sind allüberall und um ihn herum. Er will schon weinen, als endlich die Klinke gedrückt wird.

Natürlich gab es gestern zum „Tag der offenen Tür“im Circus Roncalli auf dem Platz am Bismarck-Denkmal auch Pferde, Seiltänzer und Jongleure zu begutachten. Doch wer kann schon gegen eine komische Rotnase anstinken? „Die meisten Kinder wollen Clown werden“, sagt Roncalli-Sprecher Pascal Raviol. Oder – fast alle Mädchen – auf dem Rücken der Pferde über glitzernde Sägespäne durch die plüschige Manege schweben.

„Ihr könnt alles fragen“, ermuntert Raviol seine Gäste. Wie wird man Artist? Was kostet ein Kostüm? Wie lange dauert es, das Zirkuszelt aufzubauen? Dann ist das Publikum dran. „Könnt Ihr auch etwas?“Ein Vater darf Artisten halten. Ein junges Mädchen hat Jonglieren gelernt. Zwei Kinder können Handstand.

Ein Handstand – das ist schon mehr als Pascal Raviol kann. Deshalb wurde er Pressesprecher. Die kleine PR-Show ist vorbei, und während er im Roncalli-Café einen Cappuccino schlürft, spult der Profi seine charmanten Werbesprüche zum Mitschreiben ab. Roncalli „hat die Zirkuslandschaft revolutioniert“und die Branche zu „ihren Anfängen zurückgeholt“. Das Theater habe man ins Zelt geholt, alte Zirkuswagen wieder hergerichtet, eine liebevoll inszenierte Phantasiewelt geschaffen. Zauber und Qualität, statt größer, schneller, gefährlicher. Nicht doch, gegen die anderen Zirkusse will er nichts sagen, wirklich, überhaupt nichts.

Dennoch: Die „Zeit der Seifenblasen“habe der Erfolgszirkus hinter sich gelassen. Zu viele hätten Roncalli inzwischen kopiert. Aber, gibt er sich als Verfechter der freien Marktwirtschaft, „Konkurrenz belebt das Geschäft“.

Gründer und Direktor Bernhard Paul – den zu erwähnen Raviol sich in jedem zweiten Satz befleißigt – suche andere Wege. Die von ihm entdeckten jungen KünstlerInnen seien „Rohdiamanten“, die Paul dann „schleife“und die in der „richtigen Fassung“, dem Roncalli-Zirkus, dann zur Geltung kämen. „Einen solchen Ring will jeder am Finger tragen.“20 Jahre hat Roncalli mit seiner Mischung aus originellen Ideen, perfekter Umsetzung und genialer Vermarktung bereits überlebt. „Die Klassiker“wieder in den Zirkus zu holen, lautet nun die Devise. An Bescheidenheit leidet Roncalli nicht: „Die Legende lebt“heißt das neue Programm.

Sieben Jahre lebt Raviol schon in einem kleinen Zirkuswagen, „außer in der Winterpause.“Bekocht wird er – wie 55 andere Roncallis auch – vom zirkuseigenen Café-Restaurant. Der Rest der 120köpfigen Crew zieht im „Familienverband“von Stadt zu Stadt und verpflegt sich selbst.

Das Vorzelt wuselt. Rot und Gold überall. Confetti rieselt auf BesucherInnen, Popcorn und Leuchtstangen werden verkauft, Artisten und Clowns begrüßen die Gäste. Das Lampenfieber ist spürbar. Die ZuschauerInnen werden an ihre Plätze geführt. Da ertönt auch schon der Trommelwirbel. Auch Pascal Raviol läßt sich von der Spannung im „Haus der leichten Muse“mitreißen. „Reich wird man hier nicht“, zuckt er die Schultern, „aber jeder Tag ist aufregend“.

Circus Roncalli, bis zum 29. Mai auf dem Platz am Bismarck-Denkmal, Mo., Di. und Fr. 20 Uhr, sonst auch 15 Uhr, Eintritt: 18 - 59 Mark.