piwik no script img

Wäre die Sonne doch Zeuge

■ Die German Open kämpft mit dem Wetter und der veränderten Marktlage

Hamburg (taz) – In Hamburg ist es zuweilen ziemlich ungemütlich. Vor allem, wenn man kein Dach über dem Kopf hat. Das weiß nicht nur der Verkäufer der Obdachlosen-Zeitung Hintz und Kuntz, der für zwei Wochen unweit des Tennisgeländes am Rothenbaum seinen Geschäften nachging. Auch Günter Sanders, der Geschäftsführer des Deutschen Tennisbundes und Turnierdirektor in Hamburg, mußte in fast jedem Jahr die Erfahrung machen, daß die letzte Woche im April und die erste im Mai an Elbe und Alster etwas regnerischer ausfällt, als es dem Spielbetrieb beim Frauenturnier und den German Open der Männer zuträglich ist. Verbale Prügel von den Spielern („Bei acht Grad und Nieselregen hat das Turnier keine Zukunft mehr“, so stellvertretend Boris Becker) und Lästereien der Hamburger Lokalpresse („Regenbaum“) ist Sanders schon lange gewöhnt.

Im nächsten Jahr soll dafür alles besser werden. Dann werde die seit Urzeiten versprochene Überdachung des unlängst aufwendig ausgebauten Centre Courts endlich fertig sein – und auch einsatzfähig. Sagt und vielmehr hofft der DTB. Für Sanders ist das nur ein Problem von vielen. Deutlich mehr treibt ihn die Sorge um, daß auch für 1998 noch kein Hauptsponsor des wichtigsten Profi-Tennisturniers der Männer in Deutschland bereitsteht. Eine süddeutsche Brauerei hatte im letzten Augenblick ihre Zusage zurückgezogen. Das Produkt Tennis habe nach den Boomjahren mit den Ikonen Boris Becker, Michael Stich und Steffi Graf deutlich an Zugkraft verloren, war zu vernehmen.

Der DTB steht zudem vor der Schwierigkeit, daß die Serie der sogenannten Top-9-Turniere auf sieben Veranstaltungen reduziert werden soll. Noch gehört Hamburg zu den ausgewählten Events, die von ihrer Wertigkeit nur von den vier Grand-Slam-Turnieren übertroffen werden. Doch der Rothenbaum ist aus den hinlänglich bekannten Gründen bei den Weltklassespielern ausgesprochen unbeliebt. Thomas Muster flucht („Hier scheint nie die Sonne“), viele andere auch. Und die US- Amerikaner kommen erst gar nicht: Dieses Jahr gab Andre Agassi dem Veranstalter in letzter Minute einen Korb, Pete Sampras hatte schon vorher undankend abgewunken.

Die Verantwortlichen der International Managing Group (IMG), die für die Vermarktung des Tennisspektakels zuständig sind, geben sich trotzdem optimistisch. „Dieses Turnier hat Tradition und mit Mercedes und IMG wichtige Fürsprecher“, erklärt IMG- Deutschland-Chef Damir Keretic. Außerdem werden 75 Prozent des Umsatzes im Profitennis nach wie vor in Deutschland getätigt – und den Auftritt auf einem solch lukrativen Markt läßt man sich von ein paar Regentropfen nicht verhageln. Ganz offensiv wird in den Führungsetagen des Deutschen Tennisbundes darüber diskutiert, das Turnier auf eine freundlichere Jahreszeit zu verlegen.

Von solchen Änderungen werden die bisherigen Großkopferten der deutschen Tennisszene wohl nicht mehr profitieren. Der designierte Tennis-Frührentner Michael Stich, der 1993 das Turnier gewonnen hatte, bestritt in diesem Jahr sein letztes Spiel bei den German Open. Und wer Boris Becker bei seinem erneuten frühen Scheitern in Hamburg beobachtet hat, weiß, daß dieser Mann auf einem Sandplatz nie ein Turnier gewinnen wird – zumindest nicht auf der ATP-Tour.

Als eventueller Nachfolger der beiden brachte sich der gebürtige Hamburger Thomas Haas, vulgo: „Tommy“, ins Gespräch. Erst im Halbfinale unterlag der plappermaulige Noch-Weltranglisten-126. („Ich will bald unter die besten Zehn kommen, einen Grand- Slam-Titel gewinnen und im Davis-Cup spielen.“) dem Spanier Felix Matilla, der gestern das Finale gegen Andrej Medwedew aus der Ukraine mit 0:6, 4:6, 2:6 verlor. Und – o Wunder, ein Zeichen! – als der 19jährige Schüler des amerikanischen Tennis-Schleifers Nick Bollettieri zu seinem Siegeszug ansetzte, schien auf einmal auch für Tennisfunktionär Sanders wieder die Sonne. Da strahlte er sogar ein bißchen. Kai Rehländer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen