"Armer Bulgare"

■ Dumping im "German Blitzkrieg": Der "WAZ"-Konzern beherrscht bereits 80 Prozent der bulgarischen Tagespresse

Etwas ist passiert: Bulgarische Journalisten begrüßen sich mit „Guten Abend“, die Zeitung Kontinent erscheint neuerdings mit einem Kästchen auf der ersten Seite: „Dies ist eine bulgarische Tageszeitung“, und auf kursierenden Flugblättern ist von einem „German Blitzkrieg“ die Rede.

Was auf den ersten Blick wie ein schlechter Scherz anmutet, hat einen durchaus ernsten Hintergrund. Die gereizten Journalisten reagieren auf eine neue Macht am bulgarischen Pressemarkt, und die buchstabiert sich W A Z wie Westdeutsche Allgemeine Zeitung. Denn nach Zeitungskäufen in Österreich und Ungarn dominiert der westdeutsche Medienkonzern aus Essen nun auch die bulgarische Presse.

Der Siegeszug der WAZ auf dem Balkan begann im September vergangenen Jahres, als man die Verlagsgruppe „168 Schasa“ (168 Stunden) kaufte. Der Verlag, der neben der gleichnamigen Wochenzeitung mit 24 Schasa auch die größte bulgarische Tageszeitung herausgibt (Auflage heute knapp 300.000 Exemplare), sei zu diesem Zeitpunkt bereits seit einem Jahr bankrott gewesen, behauptet Valeri Naidenow, bis 1995 Chefredakteur von 24 Schasa.

Die nächste Zeitung schon im Visier

Der Verlag habe sich 1995 mit dem Kauf moderner Drucktechnik finanziell völlig übernommen und Schulden von 40 Millionen Mark angehäuft. Die wurden von der damaligen Regierung übernommen, zusätzlich zu den Finanzspritzen für das angeschlagene Pressehaus senkte der sozialistische Premierminister Schan Widenow drastisch den Verkaufspreis, um den stetigen Sinkflug der Auflage zu stoppen.

Diese Dumpingstrategie wurde von der WAZ nach der Übernahme fortgesetzt. Mit der Folge, daß die zweitgrößte Tageszeitung Trud (Auflage derzeit rund 240.000 Exemplare) dem Preisdruck nicht mehr standhalten konnte und sich dem deutschen Konzern im Februar dieses Jahres zum Verkauf anbot. Seitdem kontrolliert die WAZ-Gruppe – an der Auflage gemessen – 80 Prozent der Tagespresse. Und den Essenern ist auch das nicht genug. Derzeit führen sie Verhandlungen mit den Plodivskie Noviny (Plodiver Nachrichten), der führenden Zeitung in der zweitgrößten Stadt Bulgariens.

Ein Monopol, wie einst im Kommunismus

„Das Verhalten der WAZ ist alles andere als europäisch und zivilisiert. Es ist brutal und heimtückisch. Jedem ist klar, daß dieses Dumping nur den Zweck haben kann, wieder ein Monopol herzustellen, ähnlich wie dem, das unter dem Kommunismus bestand“, klagt Valerie Naidenow, mittlerweile Chefredakteur der Zeitung Kontinent, die bei einer Auflage von 15.000 Exemplaren vor sich hin dümpelt.

Nun sind durch einen verringerten Seitenumfang die Produktionskosten gesenkt worden, um den Preiskrieg, der auch auf dem Anzeigenmarkt tobt, zu überstehen. Auf 10.000 Dollar belaufen sich derzeit die monatlichen Verluste – für bulgarische Verhältnisse eine gewaltige Summe.

Derart in der Bredouille, hat Naidenow, der auch Vorsitzender der bulgarischen Vereinigung der Zeitungsverleger ist, die Flucht nach vorn angetreten: Gemeinsam mit Kollegen brachte er ein zweiseitiges Papier unter dem Titel „Deutscher Blitzkrieg ruiniert die bulgarische Presse“ in Umlauf. Darin erheben die Verfasser massive Vorwürfe gegen die WAZ, die in dem Vorwurf gipfeln, die Deutschen wollten über „ihre“ Zeitungen den Exkommunisten Widenow erst zum Vorsitz der Sozialistischen Partei und später zur erneuten Machtübernahme im Lande verhelfen.

Erich Schumann, geschäftsführender Gesellschafter der WAZ, hält die Vorwürfe für völlig aus der Luft gegriffen: „Wir haben unsere Preise in den vergangenen drei Monaten viermal angehoben und liegen jetzt sogar über denen der Konkurrenz.“ Kostendeckend produzieren könne wegen der Papierpreise in Bulgarien derzeit niemand. Die Alternative sei, die Preise so zu erhöhen, daß sich kein Mensch mehr eine Zeitung leisten kann. Außerdem hätte die WAZ 50 Millionen Mark in Bulgarien investiert, zu einem Zeitpunkt, als sich alle anderen deutschen Firmen zurückzogen.

„Wenn die WAZ sich damals nicht engagiert hätte, würde es Trud und 24 Schasa heute wahrscheinlich nicht mehr geben“, sagt Schumann – zudem kämen die jüngsten Angriffe nur von kleinen Zeitungen und die seien aufgrund der schlechten Wirtschaftslage ohnehin zum Scheitern verurteilt. „Egal, ob wir in Bulgarien sind.“

So wartet denn die (noch) WAZ-unabhängige Presse mit düsteren Zukunftsprognosen auf. Unter dem Titel „WAZ – die vierte Macht in Bulgarien“ stimmte die Tageszeitung Novinar schon den Abgesang auf das gesamte Vertriebssystem an: „Der Kampf gegen den Vertrieb wird kurz sein, und der Ausgang ist wohl klar. Und dann, armer Bulgare, wirst du dir vorkommen wie in Baden-Baden, allerdings nicht ganz so. Du wirst denken, wie es dir die deutschen Zeitungen befehlen. Und du wirst leben, wie es dir die bulgarischen Bedingungen erlauben. Die WAZ ist dann das Wahrheitsministerium. Wie bei Orwell.“

Hohe Profite im rechtsfreien Raum

Der Vorsitzende der staatlichen Druckerei zeichnet ein ähnliches Bild. Seit dem Ausstieg von 24 Schasa und Trud sei die Produktion um das Fünffache gesunken, 140 Mitglieder wurden entlassen. Sollte die WAZ erst einmal den ganzen Medienmarkt kontrollieren, inklusive der Werbung, werde sie auch die Wirtschaftspolitik vieler Firmen maßgeblich mitbestimmen. Unwahrscheinlich ist dieses Szenario nicht. Denn in Bulgarien gibt es bislang keine einschlägigen Mediengesetze, die solch eine Monopolbildung unterbinden könnten. Barbara Oertel