Karawane der Globalisierung

■ Im Berliner Haus der Kulturen der Welt werden "Die anderen Modernen" als Korrektur zur Jahrhundert-Retrospektive im Martin-Gropius-Bau gezeigt

Alfons Hug vom Berliner Haus der Kulturen der Welt ist ein sehr umtriebiger und zugleich beharrlicher Mensch. Wie ein Schatten folgen seine Ausstellungen mit Kunst von der Peripherie den Großveranstaltungen des Zeitgeist-Impresarios Christos Joachimides. Als dieser im letzten Jahr mit „Afrika – Kunst eines Kontinents“ eine erstaunliche Menge an Masken und Fetischen zeigte, eröffnete Hug alternativ einen Überblick zu zeitgenössischer afrikanischer Kunst, die sich mit Fotografie und Konzept- art auseinandersetzt. Und während sich nun im Martin-Gropius- Bau die westlichen Kulturwerte der vergangenen hundert Jahre stapeln, sieht man im HdKW „Die anderen Modernen“.

Dabei ist das Unternehmen, zeitgenössische Kunst aus Afrika, Asien und Lateinamerika vorzuführen, lange nicht so dialektisch gestrickt wie zuvor etwa die aktualisierte Ergänzung zum Afrika- Komplex. Eine andere Moderne, die sich, so Hug im Vorwort des Katalogs, gegen die „hegemoniale Verblendung“ des „eurozentristischen Blickwinkels“ richtet, ist bereits integraler Bestandteil der westlichen Diskussion. Tatsächlich hatte sich Pablo Picasso für seine kubistisch deformierten Akte durchaus bewußt bei der Tradition afrikanischer Skulpturen bedient; und selbst die Formen, mit denen Georg Baselitz arbeitet, gehen auf seine Faszination an den Plastiken der Yoruba-Völker zurück. Umgekehrt wurde an der Ausstellung „Magiciens de la terre“ im Pariser Centre Pompidou immer wieder kritisiert, daß man Richard Longs nomadische Material-Zirkel nicht einfach neben Kunst der australischen Aborigines stellen kann – sonst geht der Kontext beider Arbeiten verloren.

In der ehemaligen Kongreßhalle haben sich diese Konflikte kartografisch verschoben: Chen Shao Fengs Porträtstudien chinesischer Bauern aus dem „Forschungsprojekt Hebei Provinz“ hängen neben den Mixed-Media- Arbeiten des Senegalesen Mustapha Dimé, der beschriftete Holz- und Metallabfälle aus dem Hafenbecken kombiniert. In der angrenzenden Koje mißt der Brasilianer Ernesto Neto perfekt minimalistisch den Raum aus, sein „Fallender Körper“ erstreckt sich wie ein elastisch aufgespanntes Kondom sieben Meter weit von der Decke bis zu einer Lache aus Betonstaub auf dem Fußboden. Sind vor dem Westen alle Künstler gleich? Höflich, aber bestimmt erklärte Fariba Hajamadi zur Eröffnung, daß eine Ausstellung mit Arbeiten von der sogenannten Peripherie sich eben nicht wieder nur als Nationenaufmarsch verstehen dürfe, sondern gerade im Kleinen die Autonomie künstlerischer Positionen abzubilden habe. Ohne Differenz funktioniert auch in der rasant sich modernisierenden Dritten Welt Solidarität nicht mehr.

Der Wille zur Globalisierung ist groß: Hajamadi wurde 1957 im iranischen Isfahan geboren, studierte am Cal-Arts-Institut, Kalifornien, und lebt in New York. Für das HdKW hat sie einen Raum mit Kamasutra-Motiven tapeziert und den erotischen Ornamenten Fotos gegenübergestellt, die feierliche Kostüme in historischen Vitrinen aus dem Völkerkundemuseum zeigen. Das Spiel mit der Musealisierung orientiert sich jedoch stärker an Michael Foucaults Zweifel an der Geschichtskonstruktion durch entsprechende Archive als am Bannzauber, der einen bei solcherart pittoresken Arrangements befällt. Trotz der visuell aufgeladenen Raumsituation bleibt die Erzählung europäisch und kühl.

Bei Georges Adéagbo hat gerade das Chaos Methode: „Die Kreativität“, ein Ensemble aus Zeitungsnotizen, Schallplattencovern, afrikanischer Sixties-Mode und ausgestopften Affen ist ausufernd, aber fügt sich dennoch als Kommentar auf Europas Afrika- Politik der letzten Jahrzehnte zusammen. Plötzlich taucht ein Foto von Muhammed Ali vom Boxkampf in Zaire neben einem Bericht der Libération zur aktuellen Staatskrise auf. Poplastig bleibt das Fakten-Sammelsurium vom Berliner Kongo-Kongreß bis zum Krieg in Ruanda trotzdem.

Daß man die Arbeiten der 30 eingeladenen KünstlerInnen ohnehin nicht mehr deutlich von der westlichen Kunstproduktion trennen kann, läßt sich mit dem inzwischen überall gleich hohen technischen Standard begründen. Der Chinese Feng Mengbo etwa hat für sein „Privat Album“ eine CD- ROM anfertigen lassen, auf der sich Propaganda-Fundstücke, verblichene Familienfotos um die Jahrhundertwende und kurze Filmclips vereinen. Die Künstler- Biographie, die dort per Mausklick zwischen Peking-Oper, Politschulung und Alltagsleben abläuft, will sich gar nicht von ähnlich konzipierten Projekten (etwa Hanne Darbovens monumentaler Recherche „Kulturgeschichte 1883–1983“) unterscheiden – die Möglichkeit des sukzessiven und doch permanenten Zugriffs gehört zum Prinzip von Multimedia.

Auch bei Xu Bings Installation geht es darum, wie sehr jedes kulturelle Verständnis von der Vermittlung abhängt. Anstelle der Aufklärung setzt er jedoch auf jene Ironie des Mißverstehens, mit der sonst Ilya Kabakov seine Inszenierungen gern unterlegt. Für „Quadratwörter: Neue englische Kalligraphie“ hat der 1955 geborene Chinese reihenweise schwarz lackierte Tische angeordnet, auf denen Vorlagenbücher mit fein geränderten Schriftzeichen liegen. Auf einem TV-Monitor erklärt eine britische Lehrerin, wie schwer die chinesische Schrift mit ihren fein nach der Natur geschwungenen Linien zu erlernen ist. Nun drücken Westler die Schulbank und malen Bögen mit kantig vorgefertigten Kalligraphien aus. Ihre Bedeutung ist allerdings durch die quadratische Formatierung verlorengegangen. Auf dem Transportweg. Harald Fricke

„Die anderen Modernen“, bis 27. Juli im Haus der Kulturen der Welt, Berlin. Katalog 39 DM