■ Warum die Steuerschätzung auch für 1997 falsch wird
: Wasserschöpfen mit dem Sieb

Die laufenden öffentlichen Haushalte basieren notgedrungen auf der letztjährigen Schätzung der Steuereinnahmen. Zweimal im Jahr – im Mai und Oktober – mutmaßen Experten unter Anwendung komplizierter ökonometrischer Methoden über die Entwicklung des Bruttosozialprodukts und die daraus abgeleiteten Steuereinnahmen. Doch schon seit Jahren liegen diese Schätzungen regelmäßig falsch. In diesem Jahr fehlen Bund, Ländern und Kommunen rund 20 Milliarden Mark. Da 1997 die Daten für die Aufnahmeprüfung für den Euro gesammelt werden, wird die Politik versuchen, diese Löcher nicht mit weiteren Schulden zu kompensieren. So sind neue Sparrunden absehbar. Fragt sich: Warum kommt es alle Jahre wieder zu dieser katastrophalen Fehlkalkulation?

Erstens überschätzt vor allem die Bundesregierung seit Jahren die Konjunktur. Die erhoffte Selffullfilling prophecy bleibt jedoch aus. Allein ein Prozentpunkt Minus beim Wirtschaftswachstum führt zu etwa 20 Milliarden Mark an Steuerausfällen. Zweitens unterschätzte man die Arbeitslosigkeit. 350.000 registrierte Arbeitslose mehr als angenommen reißen Löcher in die öffentlichen Budgets. Drittens ist die Steuerpolitik selbst schuld. Das Geschäft der Steuerschätzer wird durch das „verwüstete Steuerrecht“, so der finanzpolitische Sprecher der SPD, Joachim Poß, vermiest. Die mannigfachen Sonderregelungen zu Steuernachlässen, über Abschreibungs- und Verlustzuweisungsmöglichkeiten sind unüberschaubar geworden und zerstören die Kalkulierbarkeit des Steuersystems. Jüngster Beitrag zu dieser Chaotisierung: Die Vermögenssteuer wurde abgeschafft, den Ländern fehlen nun acht Milliarden Mark. Ob die Erhöhung der Erbschafts- und Schenkungssteuer dies, wie geplant, wirklich zu kompensieren vermag, das kann auch kein Steuerexperte wissen. Und trotzdem kalkuliert man diese Einnahmen einfach mit ein.

Was not tut, ist klar: ein rationales, gerechteres Steuersystem. Nur wenn es überschaubar ist, ist es auch kalkulierbar. Politisch unverantwortlich ist es, der Versuchung nachzugeben, unter dem Regime der Haushaltslöcher und mit Blick auf den Euro noch mehr zu sparen. Denn das wäre Wasserschöpfen mit dem Sieb. Konjunkturelle Schwäche, höhere Arbeitslosigkeit und schließlich steigende Haushaltsbelastungen und Einnahmeausfälle wären die Folge: ein Teufelkreis. Kurzfristiges Sparen hilft gegen die real existierenden Haushaltslöcher nicht – sondern nur eine mittelfristig seriöse Steuerpolitik. Rudolf Hickel

Der Autor ist Professor für Finanzwissenschaften.