Kongreß der Gefühle, nicht der Inhalte

Die Mehrheit der Jusos feiert sich in Berlin selbst, weil sie mit Andrea Nahles, ihrer alten und neuen Vorsitzenden, wieder Aufmerksamkeit in den Medien und der SPD gefunden haben  ■ Aus Berlin Severin Weiland

Klaus Uwe Benneter fühlte sich an alte Zeiten erinnert: „Irgendwie hat sich nicht viel verändert, nur ich bin 20 Jahre älter geworden.“ Die Ostberliner Kongreßhalle, Ort des dreitägigen Juso-Bundeskongresses, bot dem früheren Juso- Bundesvorsitzenden, der einst wegen seines Linkskurses ausgeschlossen wurde und heute stellvertretender Vorsitzender der Berliner SPD ist, ein vertrautes Bild. In den Gängen verkaufen Jusos Che-Guevara-Shirts, ein „Sozialistsicher SchülerInnen-Bund“ wirbt für „Cuba libre“, ein kubanischer Gast wird mit frenetischem Applaus bedacht. Es ist ein wenig wie in den Siebzigern, nur daß hier 341 Jusos der Neunziger sitzen, Durchschnittsalter 25. Zeitweise herrscht eine Stimmung wie im Dortmunder Westfalenstadion: Manche haben sich Bergarbeiterhelme aufgesetzt, geglückte Redebeiträge werden mit der „La Ola- Welle“ begleitet.

Der Star ist an diesem Wochenende wieder einmal Andrea Nahles. „Ohne sie hätten wir nicht diese Aufmerksamkeit in der Politik, in der Partei und in den Medien“, faßt ein Delegierter die Gefühlslage der Mehrheit zusammen. Nahles ist der Verkaufsschlager, dagegen können ihre Gegner noch so sehr anmäkeln, ihr „Inhaltsleere“, zu große Nähe zur SPD- Bundeszentrale oder gar Interviews in Frauenzeitschriften vorwerfen. Die Jusos wollen wieder wer sein, und Nahles verhilft ihnen dazu. Für Irritationen sorgt kurzweilig die Gegenkandidatur des stellvertretenden Bundesvorsitzenden Stephan Grüger aus Düsseldorf. Der 31jährige hat schon zweimal versucht, die Juso-Spitze zu erklimmen, auch diesmal wird er scheitern. Am Ende belohnen die Delegierten die 26jährige Nahles mit einem Vorsprung von 46 Stimmen.

Inhaltliche Konturen sind nur schwer auszumachen. Die Debatten entzünden sich an Begrifflichkeiten: Sollen die Jusos „kampagnenorientiert“, wie Nahles es wünscht, oder nicht doch besser „projektorientiert“ in die nächsten zwei Jahre starten? Nahles Gegner wittern eine Dominanz des Vorstands, sprechen gar von „SED- Methoden“. Und über allem schwebt der Ost-West-Konflikt, weil die Mehrheitsfraktion in ihrem Antrag den Osten schlichtweg vergessen hat. Schlagworte fallen vom Podium herab, vom „Ende des Neoliberalismus“ ist die Rede, immer wieder ertönt der Schlachtruf „Kohl muß weg“, und eine Delegierte will gar mit einem „radikalen sozialistischen Reformprojekt“ eine „Bresche“ in „das System“ schlagen.

Wer da wie einer der Redner Bedenken anmeldet, der darauf hinweist, daß die Jusos keine Antwort auf die Krise des Sozialstaats hätten, wird ausgebuht. Einigkeit scheint nur in einem Punkt zu herrschen: in der Ablehnung Schröders. Das linke Vorstandsmitglied Alexandra Kramm bringt den Saal zum Johlen, als sie an den SPD-Jugendparteitag vom vergangenen Jahr erinnert. Da hätten die Jusos die Ausbildungsplatzabgabe durchgesetzt, Schröder und der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Wolfgang Clement den Parteitag „wie geprügelte Hunde“ verlassen. Stephan Grüger, Nahles Gegenkandidat, macht die Verwirrung komplett: Einen Kanzlerkandidaten Schröder „werden wir nicht gebrauchen können“.

Schon der SPD-Bundesvorsitzende Lafontaine hatte am Freitag den Nerv getroffen. Man wolle kein „Europa der Kapitalbesitzer und Vermögenden“, sondern soziale Gerechtigkeit. Solche Formulierungen wurden mit Ovationen bedacht. Da spielte es schon keine Rolle mehr, daß er die Forderung der Jusos, im Bundestag mit mehr jüngeren Abgeordneten vertreten zu sein, gedämpft aufnahm. Er wolle sich dafür einsetzen, aber man sollte nicht so sehr das Alter, sondern auch „Inhalte“ bei der Nominierung der Kandidaten berücksichtigen.Kommentar Seite 10