IG BAU mauert an der Streikfront

■ Im Baugewerbe droht der erste Streik seit dem Jahre 1950. Mehrheit der Gewerkschaftsbezirke lehnt Schlichterspruch ab. Bauarbeiter sind vor allem über die Kürzung bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erbost

Berlin (taz) – Noch drehen sich die gelben Baukräne auf dem Potsdamer Platz, recken sich schwankend in den Himmel über Berlin. Doch auf der größten Baustelle Europas könnte es bald ganz still werden – für eine gewisse Zeit zumindest. Seit dem Schlichterspruch von Heiner Geißler (CDU) herrscht Krisenstimmung im Baugewerbe, die Streikbereitschaft wächst. Mehrheitlich lehnten die Landesbezirke der Gewerkschaft Bau, Agrar, Umwelt (IG B.A.U.) am Wochenende das Tarifpaket ab.

Umstrittenster Punkt ist die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Auf 80 Prozent soll sie gekürzt werden. Ab der vierten Woche soll es zwar dann 100 Prozent Lohn geben, dafür werden pro Fehltag am Jahresende zwei Stundenlöhne, etwa 50 Mark pro Tag, abgezogen. Mit dieser Regelung würden die Bauarbeiter zu Vorreitern der neuen gesetzlichen Regelung zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall werden, gegen die sich bislang noch jede andere Branche erfolgreich gewehrt hatte. „Es ist nicht nur eine finanzielle Sache. Es geht auch um die Ehre“, kommentierte der Vorsitzende der hessischen IG B.A.U., Albert Kögler, die Streikbereitschaft. Sein Landesverband will heute bei den Beratungen der Großen Tarifkommission in Frankfurt gegen den Schlichterspruch stimmen, ebenso wie Baden-Württemberg, Bremen/Niedersachsen, Bayern, Rheinland-Pfalz/Saar, Sachsen, Nordrhein und Berlin. Lediglich der Tarifausschuß von Sachsen-Anhalt stimmte dem Schlichter-Ergebnis mit der Begründung zu, die ostdeutschen Arbeitnehmer seien nicht direkt betroffen. Doch die Landesverbände können faktisch nur eine Empfehlung zu einem ersten Streik seit 1950 abgeben, das letzte Wort über die Tarifverträge hat der IG-B.A.U.-Bundesvorstand. Bis zum 21. Mai muß dieser nicht nur entscheiden, ob die Kürzungen bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall angenommen werden. Der Schlichterspruch sieht außerdem vor, die westdeutschen Löhne um 1,3 Prozent zu erhöhen und gleichzeitig das 13. Monatsgehalt auf 77 Prozent zu kürzen. Ob die Ostbezirke eine Angleichung an das West-Niveau erhalten, ist noch umstritten.

Andreas Bender, Bauarbeiter auf dem Potsdamer Platz, findet die Vorschläge eine Schande. „Der Bau hat genug Geld für mehr Lohn, das merke ich doch an der Jahresbilanz meiner Firma.“ Der Hesse, den man vor einem Jahr vor die Alternative Arbeitslosigkeit oder Berliner Baucontainer gestellt hatte, sieht trotzdem keine Streikfront anrollen. „Dafür fehlt der Gewerkschaft ganz einfach das Geld, die könnte das gar nicht durchhalten“, meint der 25jährige. Protestmärsche in ganz Deutschland kann er sich dagegen sehr gut vorstellen. Er wäre sofort dabei.

„Der Streik kommt, wie das Wasser die Spree runterläuft“, davon ist Oliver Müller überzeugt. Der 45jährige Ostberliner arbeitet nach einem halben Leben auf dem Bau jetzt beim Baustellen-Wachschutz. „Nachdem sie das Schlechtwettergeld 95 gekappt hatten, hat das Arbeitslosengeld im Winter einfach nicht mehr ausgereicht.“ Er hängt an seinem Beruf als Fassadenmonteur. „Aber beim Bau kannste das Geld ja bald noch selbst mitbringen.“

An den Berliner Baustellenzäunen vergilben langsam die Plakate vom März, die an den großen Protestmarsch erinnern. Damals wurde die Reichstag-Baustelle von wütenden Kollegen gestürmt. „Die da oben streichen ein. Die da unten werden gestrichen“, heißt es auf dem Protestaufruf. Das Motto paßt immer noch zur Stimmung auf dem Bau. Annette Kanis