Im Greyhound-Bus der Erfahrung

■ Joyce Johnson, einst Geliebte von Jack Kerouac, liest heute aus ihren Erinnerungen an die Zeit mit dem König der Beatniks

Ungezählte Nächte, zwei erniedrigende Sommer und Winter hat es gedauert, ihr Warten auf Kerouac. Jetzt, 40 Jahre später, zahlt es sich aus, und sie hat ihn endlich ganz. Mit Zigarette im Mundwinkel und Buch in der Tasche steht er da, unbeweglich, fluchtunfähig: auf dem Einband ihrer Memoiren. Nichts mehr von wegen mit den Jungs durchs Village ziehen und ständig On the Road.

Die Amerikanerin Joyce Johnson war zwei Jahre lang die Geliebte des Königs der Beat Generation. 1957 begegnete die damals 21jährige Jack Kerouac auf Vermittlung von Allen Ginsburg. Sie stand gerade in der Küche, da klingelte das Telefon. „Hallo. Ich bin Jack. Allen hat mir erzählt, daß Sie sehr nett sind. Wollen Sie rüber kommen ins Howard Johnson's an der Eight Street? Ich sitze an der Theke. Ich habe schwarzes Haar und trage ein schwarzrot kariertes Hemd.“Ein recht prosaischer Blind Date-Anfang einer Beziehung, deren Partner auch recht blind für einander bleiben sollten.

Minor Characters lautet bezeichnenderweise der Titel der Originalausgabe der Erinnerungen von Johnson. „Zufällig traf ich Kerouac und stand mit ihm für einen Moment im Mittelpunkt der Szene, aber ich habe mich immer als Nebenfigur gefühlt“, erklärt sie im Vorwort. Beobachterin sei sie gewesen, notiert hat sie trotz eigener literarischer Ambitionen nichts zu jener Zeit. „Aber ich habe mir immer gesagt: ,Erinnere dich und vergiß es nicht.“Erinnert hat sich nun auch der Verlag Antje Kunstmann, der rechtzeitig zu Kerouacs 75. Geburtstag das bereits 1983 erschienene Buch in deutscher Übersetzung auf den Markt bringt.

Johnson, die heute „creative writing“an der Columbia Universität unterrichtet, hat nicht nur ihre Beziehung mit Kerouac zu Papier gebracht, sondern beschreibt ihr Aufwachsen in der Enge der 40er und 50er Jahre. Leider tut sie das betulich, voller Klischees und abgegriffener Sprachbilder. Der ersehnte Aufbruch blieb den Männern vorbehalten – Frauen waren „nur anonyme Mitreisende im großen Greyhound-Bus der Erfahrung“. Der immerhin bringt sie heute nach Hamburg, während Kerouac schon 1969 blutspuckend bei seiner Mutter im Badezimmer starb.

Christiane Kühl

Lesung: Heute, 20 Uhr, Amerika Haus, Tesdorpfstr. 1

„Warten auf Kerouac. Ein Leben in der Beat Generation“. München 1997, 279 Seiten, 29.80 Mark