"Eine Selbstmordwelle wäre doch schön!"

■ Misanthrop mit Lachmuskelkater: Der Autor und Kolumnist Matthias Altenburg im Gespräch / Freitag Uraufführung

Der Menschenhasser ist gar nicht so, wie wir ihn uns vorgestellt haben. Statt Dichterschwarz trägt er Durchschnittsblau. Statt klein und vergrätzt wirkt er auf sympathische Weise moppelig. Und statt seinen Griesgram zu pflegen, prustet er nach jedem zweiten Satz vor Lachen los. Und das auch, wenn ihn ein „taz-Stiesel“am frühen Morgen durch ein Interview vom Fernseh-Comic-Gucken abhält. Streichen wir also das Wort Menschenhasser und ersetzen es durch Altenburg, Matthias. Beruf: Schriftsteller und Kolumnist der Rubrik „Junges Deutschland“im Zeit-Magazin. In diesen Tagen ist er in Bremen, weil das hiesige Schauspielhaus am kommenden Freitag sein erstes Theaterstück „Alles wird gut“uraufführen wird.

„Während die Zeit vergeht, bleibt sie stehen“, heißt es kurz und knapp in der Szeneriebeschreibung zu dem mit „Sommerkomödie“untertitelten Stück. Darin hetzt Altenburg den lamentierenden Alt-68er Kraus und weiteres schrill-gleichgültiges Personal aufeinander und montiert daraus die Realsatire eines geistigen Amoklaufs.

„Wenn man sensibel ist, kann man nur Amok laufen“, sagt der 1958 in (au weia!) Fulda geborene Schriftsteller und lacht darüber. Darauf scheinen ungezählte Zeit-LeserInnen zu warten. Denn obwohl Altenburg ihnen schon ins Stammbuch geschrieben hat, zu der Erklärung keine Lust mehr zu haben, „daß ich gar nicht ich bin, wenn ich ich schreibe“, macht er sich unter ihnen nicht bloß Freunde. Er lacht auch darüber und feilt trotzdem eifrig weiter an seinen so bitterbösen wie treffenden Rundumschlägen. Alles wird gut – oder: Während die Zeit vergeht, bleibt sie stehen: Altenburg ist einfach ein Schriftsteller, den dieses Land verdient hat.

„Eine Selbstmordwelle wäre doch schön!“ Misanthrop mit Lachmuskelkater: Der Autor und Kolumnist Matthias Altenburg im Gepräch / Freitag Uraufführung

taz: Haben Sie Einfluß auf die Inszenierung?

Matthias Altenburg: Nein. Will ich auch gar nicht. Ich bin jemand, der gegenüber der Institution Theater fremdelt. Und ich denke, ich hab' meinen Job gemacht, und jetzt sollen die ihren machen (lacht).

Sie veröffentlichen im Herbst einen Roman. Gibt es eine Verwandtschaft zwischen dem Roman und dem Stück?

Die Dramaturgin hat das Manuskript gelesen und sagte, ich hätte das Stück auf die Spitze getrieben. Aber eigentlich ist es ein anderer Stoff.

Inwiefern?

Es erzählt tagebuchartig sieben Tage aus dem Leben eines Dreißigjährigen. Es ist das Psychogramm dieses Mannes. Der Lektor meint, er sei ein innerlich amoklaufender Flaneur. Und am Schluß kommt es auch zu einem Amoklauf, wobei ich literarisch offen lasse, ob er imaginiert ist oder tatsächlich stattfindet.

Kraus, die Hauptfigur im Stück, läuft geistig Amok. Der ist 50 und der andere 30. Es gibt also keinen Unterschied, wie alt man ist?

Wenn man sensibel auf die Welt reagiert, gibt es kaum einen Unterschied. Dann weiß man schon mit 15, daß man mit 70 sterben muß. Das allein ist schon ein Grund zum Amoklaufen (lacht). Oder gestern abend im Theater. Ich habe das Gefühl, daß da eine richtige Todesstimmung herrscht. Es ist unglaublich, wie depressiv die Theaterleute sind. Mir ist eine depressive Haltung als Künstler fremd. Als Autor ist man privilegiert und kann das Medium wechseln und zum Fernsehen gehen (lacht). In diesen Trickfilmen sind in fünf Minuten so viele Einfälle wie in einem ganzen Theaterabend. Das ist unglaublich. Es würde mir wahnsinnigen Spaß machen, für einen Trickfilm zu schreiben (lacht).

Um dann im Trickfilmstudio festzustellen, daß die auch alle depressiv sind?

Da kann natürlich sein (lacht). Das will ich sogar schwer hoffen. Aber das wird ein Problem. Welches Medium bleibt mir dann noch übrig?

Sie sind 38 Jahre alt und schreiben für eine Kolumne namens „Junges Deutschland“. Paßt das?

Die hatten eigentlich vor, das „Neues Deutschland“zu nennen, aber das hat der Justitiar verhindert.

Wie alt möchten Sie sein?

Ach, so alt wie ich bin, nur ohne Schlafstörungen und unsterblich (lacht). Ich will nicht älter oder jünger sein. Aber wenn man sieht, daß Freunde schon mit 45 sterben, dann kriegt man natürlich Angst.

Also jünger?

Ne! Es ist ja angenehmer, nicht die ganzen Illusionen seines Jung-seins noch mal durchleben zu müssen. Diese ganzen Enttäuschungen sind doch schrecklich. Jetzt kann man doch ganz einfach leben (lacht).

Auch wenn wir heute erwerbstätig sind?

Ja, erwerbstätig ist das Allerschlimmste. Na ja, ich hab schon das Gefühl, daß ich den ganzen Tag lang machen kann, was mir Spaß macht – wer kann das von sich sagen?

Welche Resonanz bekommen Sie auf die Kolumne?

Wahnsinn! Also, ich kenne das Zeit-Publikum eigentlich nicht. Ich weiß, es sind viele einsame Landlehrer, die das lesen. Wenn man da nur das Wort Neger schreibt, sind die unglaublich schockiert. Ich habe eine Kolumne über Fuerteventura geschrieben, die eigentlich nur ein Wahrnehmungsprotokoll war – und da gab's eine Flut von üblen Briefen. „Der Typ müßte vom Meer verschluckt“oder „er müßte im Wüstensand endgelagert werden“. Der reine Vernichtungswillen. Aber eigentlich ist das eine gute Reibung.

Spielen Sie mit Provokationen?

Ne. Das interessiert mich nicht. Trotzdem kann ich mir diese heftigen Reaktionen nicht richtig erklären. Aber ich denke, wenn man so unvermittelt bestimmte Wahrnehmungen nebeneinander stellt, bekommt es eine stilistische Sprengkraft. Es hat wohl mehr mit der Form als mit den Inhalten zu tun. Es geht mir nicht darum, irgendwen aufzuregen. Das wäre pädagogisch. Und ich will die Leute nicht verbessern. Über gute Menschen zu schreiben ist auch ziemlich langweilig (lacht).

Ich hab' die Kolumnen heute morgen noch einmal am Stück gelesen und war völlig niedergeschmettert.

Niedergeschmettert?

Ja richtig.

Können Sie nicht lachen? (lacht)... Die Dramaturgin wollte sich nach der Romanlektüre auch umbringen. Das ist doch schön, wenn man als Autor eine Selbstmordwelle auslöst.

Bei Ihren Kolumnen ist man Teil der Beobachtung. Und zugleich nimmt man an Ihren Beobachtungen teil. Das wirft einen ganz schön hin und her. Ich glaube nicht, daß Sie nur an der schönen Form interessiert sind.

Ich versuche es mal anders. Man wird nur Autor, wenn man gezwungen ist, sich dauernd seiner selbst oder seiner Welt zu vergewissern. Aber diese Selbstvergewisserung muß man in eine Form bringen. Und dann interessiert einen der Inhalt plötzlich nicht mehr. Wenn sich dies als Schock oder als Schock-Erfrischung auf den Leser überträgt, ist schon viel gewonnen. Das will ich erreichen: Daß sich das eigene Wahrnehmungsstaccato beim Leser neu zusammensetzt.

Sind Sie durch Literatur geschockt oder durch die Realität?

Ach, durch die Realität schon überhaupt nicht mehr (lacht). Aber die schöneren Schocks sind die literarischen. Was man via Fernsehen von der Realität mitbekommt, ist doch so, daß man denkt – schon wieder nur Menschen, schon wieder nur der Papst, schon wieder nur der Hungerbauch. Wenn man erwachsen geworden ist, hat man diese Schocks in all ihren Facetten schon abbekommen.

Wie politisch sind Sie?

...diese Frage ist mir zu intim.

Gut, dann anders: Haben Sie sich über Tony Blairs Wahlsieg gefreut?

Oh, Gott. (überlegt) Dafür bin ich zu müde. Dafür habe ich Helmut Schmidt schon kommen und gehen sehen. Tony Blair ist doch nur die Major-Variante. Das ist ein kleines, dummes Glimmen von Hoffnung. Aber es ist eine Dummheit. Der Kapitalismus ist doch, seit er keine Gegner mehr hat, an sich selbst müde geworden.

Während die Zeit vergeht, bleibt sie stehen?

Darüber denke ich nicht nach (lacht). Fragen: Christoph Köster

Uraufführung „Alles wird gut“am Freitag, 16. Mai, um 20 Uhr im Schauspielhaus