Genitalverstümmelung

■ betr.: „Wenig Fragen, dafür viele Antworten“, taz vom 30. 4. 97

„Wenig Sachkenntnis“ und „europäische Überheblichkeit“ wirft Bettina Gaus in altbekannter abwertender Manier den deutschen Menschenrechtlerinnen Ines Laufer und Regina Kalthegener vor und hebt gegensätzliche Auffassungen überdeutlich hervor, um den ebenso altbekannten Tenor zu verbreiten: „Das wollen die doch so gar nicht, aber die Kulturimperialistinnen scheren sich einen Teufel drum.“ Hätte nur noch der explizite Rassismus-Vorwurf gefehlt.

Was Gaus verschweigt oder nicht weiß, ist dies: Es hätte auch umgekehrt kommen können, denn es gibt zahlreiche schwarze Frauen, die die Position von Laufer vertreten, und zahlreiche weiße Frauen, die so argumentieren wie die dort anwesende Ägypterin oder sie selbst.

„It's not culture, it's torture“, sagte die Hebamme und Sozialarbeiterin Ottah der Organisation Forward aus London anläßlich eines Terre-des-Femmes-Seminars zur Genitalverstümmelung vor vielen Jahren, und diese aus Afrika stammende Frau wußte, wovon sie sprach. Sie geriet in Harnisch als sie damals auf die „Argumente“ von Kulturimperialismus und europäischer Überheblichkeit angesprochen wurde. Das sei überhaupt nicht das Thema.

Die Politikwissenschaftlerin Enyonam Afele macht deutlich, um welches Thema es geht: Genitalverstümmelung beinhalte eine ganze Reihe schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen; physische Folter, Kindesmißbrauch, Verweigerung von Gesundheit und seelischem Wohlbefinden, Verfolgung, Vergewaltigung u. v. m.

[...] Es geht darum, weltweit durchzusetzen, daß alle Frauen ein Recht auf körperliche Unversehrtheit und auf eine selbstbestimmte Sexualität haben. Die Schere im Kopf haben weiße wie schwarze Frauen; alles andere ist eine Konstruktion von Artefakten und Scheinargumenten, die ein neues, virtuelles Thema hervorbringen, damit schlußendlich die Problematik relativ schmerzfrei ausgeblendet werden kann. [...] Monika Gerstendörfer,

Metzingen

[...] Die überwiegende Verwendung des Begriffs „Beschneidung“ und die damit verbundene sprachliche Verharmlosung und Bagatellisierung dieser Praktiken ist im Kontext dieses Artikels bezeichnend. Zur Erinnerung: 1990 hatten afrikanische Aktivistinnen auf der Hauptversammlung des IAC in Addis Abeba die Angleichung der Terminologie an den Charakter der Praxis gefordert und den Begriff FGM = Female Gential Mutilation = weibliche Genitalverstümmelung geprägt. Ein Verzicht auf den konsequenten (!) Gebrauch dieser Formulierung steht also im Gegensatz zu den Interessen afrikanischer Frauen, die sich für die Abschaffung von FGM einsetzen.

Die Betrachtung von Genitalverstümmelung als „Traditionen, die auf gesellschaftlichen Tabus, religiösen Überzeugungen und althergebrachten Ritualen beruhen...“ bedient in ihrer Einseitigkeit jene Klischees und Vorurteile, die bisher einem weltweiten Handeln gegen FGM hinderlich waren. Der wichtige Aspekt der systematischen Gewalt (und deren Mechanismen) und des globalen Kontextes wird völlig ausgeblendet – mit dem Ergebnis, daß genitale Verstümmelungen auf ein afrikanisches und traditionelles Problem reduziert werden.

[...] Dieses Defizit beeinflußt auch die Beurteilung der vorgeschlagenen Maßnahmen zur Bekämpfung von FGM in Deutschland. Während die von Terres des Femmes geforderte Präventionsmaßnahme Nummer eins (nämlich Aufklärung und Information der betroffenen Familien über die Gefahren der Verstümmelungen) unterschlagen wird, statt dessen ein Plädoyer für gleichzeitige gesetzliche Regelungen angegriffen wird, muß tatsächlich der Eindruck entstehen, daß hier der „Holzhammer“ geschwungen würde. Dabei sind wir uns lediglich der komplexen Möglichkeiten für einen effektiven Schutz der Mädchen bewußt – die Wahrung der Unversehrtheit und ihr Schutz vor massivster körperlicher Gewalt und Verstümmelung sind unsere Motivation für die Forderung der Wahrnehmung dieser Möglichkeiten.

Ein Höhepunkt der Falschdarstellung in dem Artikel ist das Zitat der ägyptischen Ärztin Amal Shafiq. Während A. S. auf eine demographische Erhebung hinweist, bei der unter anderem Frauen danach befragt(!) wurden, ob sie nach den Verstümmelungen medizinische Folgeprobleme hätten, so wird in dem Artikel behauptet, daß „medizinische Komplikationen... in Ägypten gar nicht so häufig sind“. Fatal dabei ist, daß der Eindruck erweckt wird, es handele sich um eine klinische Studie über das tatsächliche (!) Ausmaß der Konsequenzen, was ja nicht der Fall ist. Die anschließend aufgestellte Behauptung der Autorin (Anm. d. Red.: Die Autorin stellt keine Behauptung auf, sondern zitiert die Aussage Amal Shafiqs' aus Ägypten), daß die geringe Angabe von gesundheitlichen Problemen darauf zurückzuführen sei, daß die Eingriffe in Ägypten meist „durchaus professionell (!) in Krankenhäusern vorgenommen“ würden, ist ebenso falsch wie gefährlich: Zwar hat sich die Zahl der Ärzte, die die Verstümmelung kleiner Mädchen als lukratives Geschäft betreiben, erschreckend erhöht, die meisten Mädchen werden aber durch Barbiere oder Dayas verstümmelt.

[...] Im übrigen ist die von mir genannte Vermutung (über die Ursache der geringen Erwähnung gesundheitlicher Komplikationen durch die befragten ägyptischen Frauen) durch eine freie Interpretation der Autorin verstümmelt und sinnentstellend zitiert worden. Als Hauptkriterium machte ich auf die generelle „Normalisierung“ der im Zusammenhang mit dem Verstümmelungen auftretenden physischen und psychischen Folgen aufmerksam, was mit einer „Gewöhnung daran“ nichts zu tun hat – und auch nicht mit dem individuellen Leid der Betroffenen. [...] Ines Laufer, Terres des Femmes,

Hamburg

Ein ärgerlicher, bevormundender Bericht!

Schon 1984 gründeten Afrikanerinnen aus 20 Ländern während eines Seminars in Dakar/Senegal das Inter African Committee, das unter anderem gegen die rituelle Genitalverstümmelung kämpft. Mittlerweile gibt es in allen 28 betroffenen afrikanischen Ländern nationale Arbeitsgruppen.

Die von den Grünen geladenen Kampagnefrauen aus Ägypten, Nigeria und Gambia zeigten deutlich, welche unterschiedlichen Strategien und Maßnahmen gegen diese frauenfeindliche Tradition eingeschlagen werden. Das können Workshops mit Beschneiderinnen sein, wissenschaftliche Untersuchungen, aber auch Forderungen gegenüber Parteien, Regierungen und religiösen Autoritäten.

Gerade in den letzten Jahren fordern Afrikanerinnen ihre Regierungsvertreter auf, sich eindeutig und öffentlich gegen die Genitalverstümmelung auszusprechen. Die Kritik Ihrer Autorin an der öffentlichen Anhörung der Grünen ist also weit hinter dem Stand zurück, den die Afrikanerinnen sich nach 15 Jahren Arbeit an der Basis erkämpft haben. Wenn sich die politischen und religiösen Entscheidungsträger noch immer scheuen, mit Empfehlungen oder auch Gesetzen zu reagieren, dann nicht weil sie so sensibel gegenüber alten Traditionen sind, sondern weil sie die (männliche) Kontrolle über Sexualität und Reproduktionskraft von Frauen verlieren.

Daß die Frauen in ihren Ländern staatlichen Schutz schmerzlich vermissen, zeigte während der Anhörung gerade das Beispiel der eingeladenen Maimouna S. In ihrem Herkunftsland Côte d'Ivoire wurde ihre einjährige Tochter genital verstümmelt, ohne daß sie irgendwelche Hilfe von polizeilicher oder richterlicher Seite zu erwarten hatte.

Warum also sollten „die Europäerinnen“ nicht genau das tun, was Afrikanerinnen versuchen durchzusetzen: Aufklärung, Information der betroffenen Eltern einerseits, aber auch klare gesetzliche Regelungen gegen die Genitalverstümmelung auf der anderen Seite. Gesetze haben unter anderem auch Signalwirkung, das sollte Ihre Autorin wissen. Kerstin Kilanowski, Köln

Wie billig und einfach via kontraproduktivem „positivem Rassismus“ die Arbeit und das Engagement deutscher Genitalverstümmelungs-Gegnerinnen niederzumähen und ihnen Überheblichkeit und mangelnde Sachkenntnis zu unterstellen! Obwohl Sie zu repräsentativen Zwecken eine Kenianerin zitieren, die kritisierte, daß afrikanische Frauen „nur als hilflose Opfer“ betrachtet würden, fühlen Sie sich gleichzeitig selbst dazu bemüßigt, sich schützend vor eben jene stellen zu müssen, die ihren Widerspruch – offenbar im Gegensatz zu den deutschen Aktivistinnen – „höflich“ aber „eindringlich“ vorbringen. [...]

Auch wenn Sie sich abschließend den Hinweis auf Frau Deitert-Scheuers „ungewöhnliche Definition gesellschaftlicher Normen“ nicht verkneifen können – es bedarf wohl kaum fundierter soziologischer Kenntnisse, um sich vorzustellen, daß innerhalb der AktivistInnenschaft – und zwar völlig unabhängig vom Herkunftsland – ganz unterschiedliche Meinungen zum Umgang mit dieser Problematik herrschen, zum Beispiel gerade in der überaus schwierigen Frage gesetzlicher Regelungen. Zu gern würde ich auch mal die Aktivistinnen sehen, von denen Sie allen Ernstes glauben, daß sie im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte AfrikanerInnen heute noch mit der „Erhobenen-Zeigefinger- Methode“ kommen wollten. [...] Petra Schnüll, Göttingen

[...] Ich habe habe mich zwischendurch beim Lesen des Artikels gefragt, ob Bettina Gaus und ich an der gleichen Anhörung teilgenommen haben. Natürlich – jedem Engagement kann mit dem Totschlagargument des Rassismus begegnet werden. Ich habe von „europäischer Überheblichkeit“ nichts gespürt. Im Gegenteil war für mich deutlich das Bemühen erkennbar, gemeinsam mit den anwesenden afrikanischen Frauen nach Vorschlägen und Lösungen zu schauen, wie der frauenverachtenden Verstümmelung weiblicher Genitalien zu begegnen ist.

Auch haben die afrikanischen Frauen ihre Position eindeutig klargemacht, an der Zusammenarbeit mit europäischen Frauen interessiert zu sein, gemeinsam das Thema aus der Tabuzone zu holen. Ich kann einfach nicht begreifen, was dieser Angriff von Bettina Gaus auf das Engagment von Frauen soll. Ich bin sehr froh, daß es diese Anhörung der grünen Partei zu diesem überaus diffizilen Thema gab. Lassen wir uns dadurch nicht verunsichern und benennen wir weiterhin Frauenverachtendes, unabhängig davon, auf welchem Teil der Welt es geschieht. Doris Ingenhag,

Mönchengladbach

Ihre Berichterstattung über die Anhörung in Bonn am 28. 4. ist katastrophal, Projektion in Reinkultur. [...]

Das Podium in Bonn war ausgezeichnet besetzt, der Wissensstand der Diskutantinnen groß, kritische Anmerkungen zur Einschätzung von „Gesundheit“ durchaus korrekt. Daß Babys, kleine Mädchen noch immer „Opfer“ brutaler jahrtausendealter und weltweiter Kontrolle über weibliche Sexualität durch Frauen und Männer sind, ist nicht zu leugnen. Daß eine erwachsene Frau, die über ihre genitale Verstümmelung in Kenntnis von Folgen und Alternativen selbst entscheidet, ebenfalls „Opfer“ ist, mag schwerer nachzuvollziehen sein.

Dennoch: Weder die Podiumsteilnehmerinnen noch die Zuhörerinnen machten afrikanische Frauen auch nur ein einziges Mal zu Opfern. [...] Heidemarie Grobe, Reinbek

Anm. d. Red.: Bettina Gaus hat sieben Jahre, davon fünf Jahre als Korrespondentin für die taz, in Afrika gelebt und sich mehrfach mit dem Thema beschäftigt.