Ein Höllenlärm für den Frieden

Der Nahost-Friedensprozeß scheint am Ende. Den Eindruck erwecken jedenfalls die betroffenen Staatsmänner. Doch einige Israelis, Palästinenser, Ägypter und Jordanier sehen das anders: Sie wollen Frieden von unten  ■ Von Karim El-Gawhary

Im israelisch besetzten Teil des Westjordanlandes fliegen Steine, Gummigeschosse und Tränengasgranaten. Im Süden Libanons tobt ein blutiger Kleinkrieg zwischen israelischer Besatzungsarmee und schiitischer Hisbollah, und bei den syrisch-israelischen Verhandlungen herrscht Funkstille. Entnervt erklärte US-Außenamtssprecher Nicholas Burns am Montag, es gebe noch immer gravierende Meinungsverschiedenheiten zwischen Israelis und Arabern. Die erneute Pendelmission des US-Sondergesandten Dennis Ross werde bis Ende der Woche fortgesetzt. An einen Durchbruch im Nahost-Friedensprozeß glaubt derzeit niemand – eher an sein Ende.

Doch für eine Gruppe israelischer, palästinensischer, jordanischer und ägyptischer Persönlichkeiten ist alles längst nicht aussichtslos. Sie sind angetreten, um den Nahost-Friedensprozeß „von Mensch zu Mensch“ zu retten. Gegründet wurde ihre „Internationale Allianz für einen arabisch-israelischen Frieden“ Anfang des Jahres mit Hilfe der Vermittlung des dänischen Außenministeriums in Kopenhagen. Frieden sei zu wichtig, um ihn allein den Regierungen zu überlassen, heißt es in dem Gründungsdokument der Allianz. In Zukunft sollten die Regierungen „von unten“ überwacht werden. „Wenn etwas dem Friedensprozeß entgegenläuft, ist es unsere Aufgabe, einen Höllenlärm zu machen“, erklärt der israelische Mitinitiator, David Kimche, Vorsitzender des „Israelischen Rats für Auswärtige Beziehungen“.

Lärm kam allerdings zuerst von anderer Seite. Während die Initiative in israelischen, palästinensischen und jordanischen Medien kaum gewürdigt wurde, schoß sich die ägyptische Presse auf die neun ägyptischen Unterzeichner ein, allen voran auf den prominenten linken Publizisten Lutfi Chuli. Offene Treffen zwischen israelischer und ägyptischer Prominenz sind immer noch tabu. 18 Jahre nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags zwischen Israel und Ägypten sehen die meisten Ägypter solche Kontakte als Bruch des von Intellektuellen aufrechterhaltenen Kulturboykotts gegen Israel. So griffen Kritiker zur Beschreibung der ägyptischen Unterzeichner der Kopenhagener Erklärung zu Worten wie „Verräter“ oder „Agenten“. Die Debatte wurde teilweise so hitzig, daß selbst Literaturnobelpreisträger Nagib Mahfus zu Zurückhaltung aufrief. „Kontroversen“ seien eine Sache, „Menschen als Verräter zu bezeichnen, eine andere“.

Aber auch besonnenere ägyptische Intellektuelle mit langjährigen akademischen Kontakten zu israelischen Kollegen äußerten sich kritisch. Das Gründungsdokument sei schlecht ausgehandelt, beanstandet etwa Tachsin Baschir, ehemaliger Diplomat und Sprecher der Regierung Anwar as-Sadats, die den Friedensvertrag mit Israel unterzeichnet hatte.

Auch Muhammad Sid Ahmad, einer der bekanntesten ägyptischen Polit-Publizisten, hatte seine Reise nach Kopenhagen zur Unterzeichnung des Gründungsdokumentes in letzter Minute abgesagt. „Intellektuelle sind keine politischen Unterhändler, die anstelle von Regierungen verhandeln“, warnte er die ägyptischen Mitunterzeichner. Die Hauptargumente der Kritiker des Gründungsdokuments lauten: Es fordere keinen Abbau israelischer Siedlungen und spreche von Jerusalem lediglich als „sensibles Problem“. Auch eine vollständige Rückgabe des israelisch besetzten Golan und des Südens Libanons stehe nicht im Forderungskatalog.

Palästinensische Unterzeichner, wie der linke Oppositionelle Rijad Malki, wehren sich gegen solche Vorwürfe. „Ich sehe mich mehr als Katalysator denn als Unterhändler“, erklärt er. Das Kopenhagener Papier sei keine Verhandlungsgrundlage, sondern reflektiere lediglich das Interesse einer Gruppe von Leuten, die den Friedensprozeß voranbringen wollen. Keinesfalls gehe es darum, den Prozeß der Normalisierung zwischen arabischen Ländern und Israel voranzutreiben. Ziel sei es vielmehr, die palästinensische Seite zu unterstützen.

Aber nicht nur das Dokument verursacht auf arabischer Seite Unbehagen — auch die Person des israelischen Initiators David Kimche sorgte für Mißmut. Er ist noch aus seinen Tagen als hochrangiger Vertreter des israelischen Geheimdienstes Mossad bekannt (Originalton Kimche: „Ich habe meinem Land auf vielfältige Weise gedient, ohne das jetzt hier im Detail ausbreiten zu wollen“). So mancher ägyptischer Intellektuelle wäre bereit, Gleichgesinnte der israelischen Friedensbewegung zu treffen. Das Kopenhagener Bündnis schließt neben Ex-Geheimdienstmann Kimche aber auch Vertreter des rechtsgerichteten israelischen Likud ein, darunter Makim Levy, den Bruder des jetzigen Außenministers.

Die ägyptischen Unterzeichner der Kopenhagener Erklärung ließ das kalt. „Wenn ein Mossad-Mann einem palästinensischen Staat zustimmt, dann ist das genau die Antwort, die wir uns wünschen“, erklärt Mitunterzeichner Abdel Munem Said, Chef des halbamtlichen al-Ahram-Zentrums für Strategische Forschung. Kimche selbst konterte: „Wenn ehemalige Geheimdienstleute und Militärs heute zusammenkommen, um über Frieden zu sprechen, dann hat das mehr Gewicht, als wenn dies irgendwelche ehemaligen Priester, Scheichs oder Rabbis tun.“

Kimche sieht die Kopenhagener Initiative jedoch auch als Versuch, den arabischen Kulturboykott gegen Israel zu brechen. Kopenhagen sei „die erste Beule in der feindlichen Wand, die von ägyptischen Intellektuellen aufgebaut wurde“, bekennt er offen.

Der von Kimche angekündigte „Höllenlärm“ bei Dingen, die dem Friedensprozeß entgegenlaufen, fiel allerdings bisher ziemlich leise aus. Die erste Aktion der neu verbündeten Wächter von unten glich mehr einem Piepsen. Fünf der ägyptischen Unterzeichner reisten in einem bisher einmaligen Schritt offen angekündigt nach Jerusalem, um gegen den umstrittenen Bau der jüdischen Siedlung Har Homa in Ost-Jerusalem zu protestieren. Doch in Erwartung der Demonstranten blieb die Baustelle weiträumig abgeriegelt. Die geplante Reise nach Gaza zu einem Treffen mit PLO-Chef Jassir Arafat fiel ebenfalls ins Wasser, da der Gaza- Streifen an diesem Tag einmal wieder abgeriegelt war.

Daß der Publizist Lutfi Chuli Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu später beschuldigte, mit seiner Siedlungspolitik nicht Häuser, sondern Gräber für den Friedensprozeß zu bauen, blieb dann nur dem kleinen Kreis zu hören vorbehalten, den David Kimche zum Mittagessen eingeladen hatte.