"Von Tieren umgeben"

■ Doris Lessings "Die Ehen zwischen den Zonen Drei, Vier und Fünf" wurde als Phil-Glass-Oper in Heidelberg uraufgeführt. Ein Gespräch mit der Schriftstellerin

Im Herbst wird sie 78, seit ihrem Debüt mit „Afrikanische Tragödie“ (1950) hat sie über 40 Romane und Erzählungen geschrieben. Doris Lessing, die sich selbst als „writing animal“ bezeichnet, wurde im Iran geboren, wuchs im ehemaligen Rhodesien auf und lebt heute zurückgezogen im Londoner Stadtteil Hampstead.

Dieser Tage allerdings hielt sie sich in Heidelberg auf und verfolgte die Endproben einer Oper nach einem ihrer Romane: „Die Ehen zwischen den Zonen Drei, Vier und Fünf“ aus ihrem fünfbändigen Romanzyklus „Canopus in Argos“ (1979 bis 1985), der einen Bruch in ihrem Werk markiert und mit dem sie, beeinflußt von der Mystik des islamischen Sufismus, ihr Mißtrauen gegenüber rationaler westlicher Erkenntnis formuliert.

Sie selbst schrieb das Libretto, Philip Glass, der Tonschleifenakrobat aus Baltimore, vertonte die Geschichte der Königin Al Ith aus Zone Drei, die auf Befehl unbekannter Mächte den König der Zone Vier, Ben Ata, heiratet. Eine seltsam träumerisch-futuristische Oper über stagnierende Zivilisationen, die sich nur weiterentwickeln können, indem sie sich anderen Erfahrungswelten öffnen.

In Heidelberg wurde die Mesalliance zum Wohle zweier Kulturen in der Regie von Birgitta Trommler und unter musikalischer Leitung von Thomas Kalb uraufgeführt.

Zu hören war im Gegensatz zu früheren Glass-Arbeiten wie dem Stuttgarter „Echnaton“ (1984) eine dynamische und klassisch durchkomponierte Oper mit schnellen Wechseln zwischen Rezitativteilen und Arien.

Das Gespann Lessing/Glass hat 1988 schon einmal eine Oper nach einem Roman des „Canopus“- Zyklus („Die Entstehung des Repräsentanten von Planet 8“) zur Uraufführung gebracht. Das war in Houston. Auf die Heidelberger „Ehen“ wird bald eine dritte Oper folgen – damit sich alles, wie bei Glass üblich, zu einer Trilogie füge.

taz: Frau Lessing, in Ihrem Libretto betonen Sie die Dramatik der Konfrontation zweier Kulturen. Entsteht da nicht ein Gegensatz zu Philip Glass' repetetiver, minimalistischer Musik?

Doris Lessing: Ich denke, daß es bei Philip Glass eine neue Entwicklung gibt. Vor zehn Jahren, als wir zum erstenmal über die Bearbeitung meines Romans sprachen, sagte Phil, er würde gerne eine Oper schreiben, in der Lieder bzw. Arien vorkommen.

Da habe ich mir meinen Roman, der damals ungefähr zehn Jahre alt war, noch einmal angesehen und überrascht festgestellt, daß ich bereits sehr viele Lieder geschrieben hatte und meine Geschichte schon musikalisch strukturiert ist. Was Phil daraufhin komponiert hat, ist für mich sehr überraschend und unterscheidet sich von seinen anderen Opern und auch von unserer ersten gemeinsamen Arbeit. Wie er zum Beispiel die menschliche Stimme als Instrument einsetzt, ist eines der aufregendsten Erlebnisse, die ich je hatte.

Stimmt der Eindruck, daß die „Ehen“ innerhalb Ihres „Canopus“-Zyklus eine Sonderstellung einnehmen? Sie beschreiben nicht, wie in den anderen Bänden, untergehende Welten, sondern die Weiterentwicklung zweier Welten durch Konfrontation.

Die „Ehen“ unterscheiden sich tatsächlich von allem, was ich jemals geschrieben habe. Für mich ist es eher ein Märchen. Die Zone Drei ist ja ein archetypisches Beispiel dafür, wie Frauen sich das Paradies vorstellen. Da ist alles sehr sanft und extrem permissiv. So was gibt es in Wirklichkeit nicht, und ich habe die Konfrontation beider Zonen kreiert, um zu zeigen, daß sie durch die erzwungene Heirat ihre Stagnation überwinden. Auf beiden Seiten denkt man, man sei perfekt, ist in Wirklichkeit aber fett, faul und selbstzufrieden.

Sind die Menschen in Zone Drei und Vier eher komisch?

Ja, ich finde es tatsächlich komisch, wenn zwei so extrem unterschiedliche Menschen wie Al Ith, diese sehr frauliche Königin, und Ben Ata, dieser harsche und rüde Soldat, miteinander ein Kind zeugen müssen, damit ihre Welten nicht zugrunde gehen.

Warum wehren Sie sich eigentlich dagegen, daß die „Ehen“ und andere Romane unter der Rubrik Science-fiction eingeordnet werden?

Weil sie da nicht hingehören, auch wenn der große englische Science-fiction-Autor Brian Aldiss sich sehr ärgert, daß ich da nicht eingeordnet werden will. Science- fiction bedeutet für mich, daß der Plot auf naturwissenschaftlichen und in die Zukunft weisenden Ideen beruht, während es bei mir im Grunde doch darum geht, was sich in Menschen oder Staaten abspielt. Ich verteile diese Geschichten dann lediglich auf Welten im Weltraum.

Die Königin Al Ith hat ein sehr inniges Verhältnis zu ihrem Pferd, und sie spricht mit Tieren. Warum taucht in vielen Ihrer Romane diese Sehnsucht nach einem harmonischen Leben von Mensch und Tier auf?

Das ist eine meiner Obsessionen. Ich finde es furchtbar, wie dumm und grausam der Mensch die Tiere behandelt. Es kann sein, daß solche Obsessionen – und übrigens auch die Landschaften, wie ich sie in den „Ehen“ beschreibe – tief in meinem Unterbewußten und in meiner Jugend in Afrika verwurzelt sind. Ich bin ja im Busch aufgewachsen und war von Tieren umgeben, nicht nur von Katzen und Hunden, sondern von Wildtieren, die es heute zum Teil gar nicht mehr gibt.

Die Menschen gerade in Ihren „Canopus“-Romanen sind undefinierbaren Mächten und übergeordneten Intelligenzen ausgeliefert? In den „Ehen“ zum Beispiel wird jeder Schritt von sogenannten „Versorgern“ vorgegeben. Haben Sie im Grunde eine eher fatalistische Weltsicht?

Ich würde eher sagen, daß ich es absurd finde, wenn die Menschen denken, sie hätten alles im Griff und seien diejenigen, die Entscheidungen treffen. Ich denke das nicht. Kursänderungen in unserem Leben werden immer durch etwas anderes hervorgerufen: durch Veränderungen in der Natur, durch Kriege oder andere Ereignisse. Wir rennen diesen Ereignissen hinterher und tun so, als würden wir Entscheidungen treffen. Ich denke, daß wir in einer Sackgasse gelandet sind. Interview: Jürgen Berger