Trügerische Ruhe vor dem Sturm

Politisch bewegt sich in Zaire nichts mehr. Jetzt rufen die Rebellen die Bevölkerung von Kinshasa auf, zu Hause zu bleiben und mit Freudengesängen auf die Befreier zu warten  ■ Aus Kinshasa Andrea König

Zaires Hauptstadt ist eine Gerüchteküche. Niemand weiß etwas, aber alle möglichen Szenarien werden durchgespielt. Staatschef Mobutu Sese Seko und Rebellenchef Laurent-Désiré Kabila könnten sich bei ihrem für heute geplanten Gipfeltreffen auf einem südafrikanischen Schiff im Atlantischen Ozean einigen oder auch nicht – wenn das Gipfeltreffen überhaupt stattfindet und nicht doch noch verschoben wird. Von der amtierenden Regierung ist kein Wort zu hören. Der Exodus von Ausländern und reichen Geschäftsleuten über den Fluß nach Brazzaville im Nachbarland Kongo geht unvermindert weiter. Gerüchten zufolge nähert sich die Kriegsfront der Hauptstadt, die AFDL-Rebellen stünden nur mehr 30 Kilometer entfernt – aber auch das weiß mit Gewißheit niemand.

Seit Montag zirkulieren in der Fünf-Millionen-Stadt Pamphlete ohne Signum, Stempel oder Unterschrift, in denen die Bevölkerung aufgerufen wird, ab dem heutigen Mittwoch bis zum Freitag drei Tage lang zu Hause zu bleiben, weiße Fahnen an Wohnungen und Häusern zu hissen, Freudengesänge anzustimmen und auf den Einmarsch der Rebellen zu warten. Die Soldaten der Regierungsarmee sollen ihre Kasernen nicht verlassen. Nach Ankunft der AFDL würden sie dann in eine neue Armee integriert werden. Aber man werde jeden Soldaten als Feind behandeln, der auf der Straße angetroffen werde. Am Tag nach dem Rebelleneinmarsch, so das Flugblatt weiter, sollen die Geschäfte wieder öffnen, damit die Bevölkerung sich versorgen kann. Die einzigen Arbeitnehmer, die zur Arbeit erscheinen müßten, seien die Angestellten der Rundfunksender, um die Erklärungen der AFDL zu verbreiten.

Niemand in Kinshasa ist sich sicher, ob die Leute diesen Aufruf, der AFDL-Aktivisten zugeschrieben wird, befolgen werden. Diplomaten und die wenigen verbliebenen Geschäftsleute nehmen den Aufruf nicht so ernst wie einfache Einheimische. Ein Journalist einer Oppositionszeitung erzählt, seiner Wahrnehmung nach hätten die meisten Leute wirklich Angst und würden auf jeden Fall zu Hause bleiben. Die wirtschaftliche Situation aber wird bestimmend sein dafür, ob und wie lange die „Operation Geisterstadt“ befolgt wird. Die meisten Einwohner von Kinshasa leben von der Hand in den Mund und können es sich nicht leisten, drei Tage lang ohne jedes Einkommen zu leben.

Immerhin ist Ausländern eingeschärft worden, im Falle eines Erfolges des Generalstreikaufrufs auf keinen Fall auf die Straße zu gehen. Es zirkuliert noch ein anderes Flugblatt unbekannten Ursprungs, das zur Tötung aller Weißen aufruft, insbesondere Amerikaner. Die AFDL hat mehrmals gewarnt, radikale Mobutu-Anhänger planten die Ermordung von Ausländern in Kinshasa, um die im benachbarten Brazzaville stationierten ausländischen Truppen zu einer Intervention zu bewegen.

Deutlich zeichnete sich gestern ab, daß die Idee, Erzbischof Monsengwo als neuen Parlamentspräsidenten ins Spiel zu bringen, um Mobutu abzulösen, gescheitert ist. Kirchenkreise aller Konfessionen sind dagegen, die Rebellen und die radikale Opposition auch. Monsengwo hat bereits klargestellt, er werde den ihm angetragenen Posten ohne Zustimmung aller Seiten nicht annehmen. Dies wiederholte er, nachdem er gestern aus Brazzaville kommend in Kinshasa eintraf.