Publikumsgunst macht mutiger

■ Der neue Spielplan des Theaters birgt für Bremer Verhältnisse einigen Konfliktstoff in sich

„Den Konflikt wagen“überschreibt der Intendant des Bremer Theaters, Klaus Pierwoß, einen Beitrag in der Mai-Ausgabe des Bühnenvereins-Magazins „Die Deutsche Bühne“. Darin zieht Pierwoß erneut eine Bilanz des Bremer Theaterstreits und empfiehlt die Überschrift sozusagen als Motto weiter. Auf Schleichwegen scheinen diese Erfahrungen mit der Bremer Kulturpolitik jetzo auch auf die Kunstproduktion im Theater abgefärbt zu sein. Denn der Spielplan für die Saison 1997/98, den Pierwoß und Co gestern präsentierten, birgt im Vergleich zum Vorjahr für Bremer Verhältnisse einigen Konfliktstoff in sich.

In der vierten Saison der Ära Pierwoß planen die Verantwortlichen immer noch ins Blaue hinein. Der Kulturetat ist bekanntlich noch nicht verabschiedet und steht mit der geplanten Gründung einer Kultur GmbH ohnehin vor der größten Umwälzung seit Jahrzehnten. Die Position des ausgeschiedenen Theater-Verwaltungsdirektors Rolf Rempe ist zur Freude des Aufsichtsrats und zum Ärger des allein verantwortlichen Intendanten noch immer nicht besetzt. Der Kommentar des Intendanten: „Für mich gilt das Wort der Kultursenatorin“– und Aufsichtsratsvorsitzenden Bringfriede Kahrs (SPD). Und das lautet: In diesem und im nächsten Jahr keine Kürzungen. Näheres regelt der Aufsichtsrat – voraussichtlich in der bis obenhin vollgepackten Sitzung Mitte Juni.

Pierwoß indes hatte schon schwerere Gänge vor sich. Denn 16 Prozent mehr ZuschauerInnen, 27 Prozent mehr Einnahmen aus dem Kartenverkauf und zehn Prozent mehr AbonnentInnen stehen in der Abschlußbilanz für die Spielzeit 1995/96. Die noch auf Schätzungen beruhenden Zahlen für die laufende Saison lassen – wenngleich leicht abgeschwächt – ebenfalls Zuwächse erwarten. Und die zahlen sich aus: Kultursenatorin Kahrs hatte Pierwoß einen Bonus von 400.000 Mark in Aussicht gestellt, wenn Besucherzahlen und Einnahmen um zehn Prozent steigen. Wie der kommissarische Verwaltungschef Jens Walter auf Anfrage erklärte, werden diese Vorgaben „locker erreicht“. Da kann man schon mal mutiger werden.

Im Schauspiel, das die Spielzeit am 18. September eröffnet, ist die Handschrift des Chefdramaturgen Joachim Lux herauszulesen, der dem Publikum „sinnliches und vitales Theater“verspricht. Die Vorlagen zu den elf Premieren stammen überwiegend aus diesem Jahrhundert und reichen von Heiner Müllers Eröffnungsstück „Medea Material“bis hin zu Lina Wertmüllers Zeitgeistkomödie „Gianni, Ginetta und die anderen“, die in Bremen als deutsche Erstaufführung herauskommt. Der Trend, RegisseurInnen immer wieder in die Hansestadt zu verpflichten, setzt sich auch in der neuen Saison fort. Nach ihrer Schiller-Inszenierung kommt Barbara Bilabel mit Frank Wedekinds „Musik“zu Zuge und der Regisseur der „Dreigroschenoper“,Andrej Woron, inszeniert Peter Weiss „Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats“. Erstmals in der Hansestadt setzt der Bulgare Dimiter Gotscheff , den Klaus Pierwoß in der Zeit seiner Intendanz am Kölner Schauspielhaus für Deutschland „entdeckte“, ein Stück in Szene. Dies ist genauso bemerkenswert wie die Randnotiz, daß das große Haus zu Gunsten des Jungen Theaters auf die Inszenierung des „Black Rider“verzichtet hat. Joachim Lux: „Die Existenz des Jungen Theaters könnte daran hängen.“Schließlich sind vier Abgänge aus dem Ensemble zu vermelden, wobei der von Pierre Besson besonders zu bedauern ist. Dafür kehrt die in der Heyme-Zeit hervorragende Cornelia Kempers nach Bremen zurück.

Noch ein prominenter Rückkehrer ist für die Eröffnungsinszenierung im Musiktheater verantwortlich: Der langjähriger Leiter des Bremer Tanztheaters und Choreographie-Wüterich Hans Kresnik zeichnet für Beethovens „Fidelio“verantwortlich (Premiere am 3. Oktober) und wagt sich nach fast 20 Jahren wieder an die szenische Einstudierung einer Oper. Das an Giorgio Battistelli vergebene Auftragswerk „Die Entdeckung der Langsamkeit“nach Sten Nadolnys gleichnamigen Kult-Roman ist nun doch fertig geworden und wird eine Woche später (12. Oktober) uraufgeführt. Beide Male hat Günter Neuhold die musikalische Leitung. Neben diesen beiden stehen sechs weitere Opernpremieren auf dem Programm – darunter eine weitere Uraufführung eines Auftragswerkes namens „Das Bankett“des Italieners Marcello Panni. Der hervorragende Regisseur David Mouchtar-Samorai wird es im Juni 1998 inszenieren. An die jüngeren ZuschauerInnen richtet sich Leonard Bernsteins Musical-Klassiker „West Side Story“, mit dem das Bremer Theater nach Angaben Günter Neuholds beweisen will, sich auch in diesem Metier zurechtzufinden. Verdis „Maskenball“oder Glucks „Orpheus und Eurydike“vervollständigen das Programm nahezu , das fortan von einem um zwei SängerInnen verstärkten Ensemble gesungen wird.

Das Tanztheater, das sich im dritten Bremer Jahr immer häufiger über Einladungen freuen kann, will mit drei neuen Stücken von sich reden machen: Die beiden LeiterInnen Susanne Linke und Urs Dietrich inszenieren. Auch das Ensemble kommt unter dem Titel „Junge Choreographen II“wieder zum Zuge. Im Kinder- und Jugendtheater MOKS schließlich sind vier neue Inszenierungen geplant. ck