Tod eines selbsternannten Kalifen

■ Islamisten hatten gegen den von Killern ermordeten Türken eine Fatwa verhängt

Der Mord an einem 29jährigen Türken geht auf Rivalitäten innerhalb des „Verbandes der Islamischen Vereine und Gemeinden“ (ICCB) zurück. Halil Ibrahim Sofu war in der Nacht zum Himmelfahrtstag kurz nach Mitternacht in seiner Weddinger Wohnung erschossen worden. Die Polizei sucht nach drei Tatverdächtigen. Sofu hatte sich vor einem Jahr zum „Kalifen der islamischen Nation“ ausgerufen. Der Kalif war im Osmanischen Reich (dem Vorläuferstaat der Türkei) zugleich weltliches und religiöses Oberhaupt. Der Titel wird aber heute auch in islamischen Kreisen nicht anerkannt.

Doch gab es in der ICCB bereits einen anderen „Kalifen“: den Sohn des 1995 verstorbenen ICCB-Begründers Cemaleddin Kaplan. Nach dessen Tod hatte sich die Organisation mit Hauptsitz in Köln gespalten. Sofu gehörte zum abtrünnigen Flügel der Berliner Niederlassung, die nach Angaben des Verfassungsschutzes rund 150 Mitglieder zählt. Bundesweit dürfte es 1.200 ICCB-Anhänger geben.

Nach Berichten der türkischen Zeitung Hürriyet soll der Sohn Kaplans selbst die Fatwa – ein Rechtsgutachten – gesprochen haben, in dem Sofu zum Tode verurteilt wurde. Die Fatwa war am 4. Oktober 1996 in der ICCB-Zeitschrift veröffentlicht worden.

Cemaleddin Kaplan hatte das von Ajatollah Chomeini verhängte Todesurteil gegen den britischen Schriftsteller Salman Rushdie unterstützt. Nach einem taz-Bericht hatte Kaplan auch dazu aufgerufen, den türkischen Schriftsteller Aziz Nesin als „Gotteslästerer“ und „Ungläubigen“ zu ermorden. Grund war Nesins Initiative, Rushdies „Satanische Verse“ in der Türkei zu veröffentlichen. Ein türkischer Bauunternehmer hatte damals ein Kopfgeld von 250.000 Dollar ausgesetzt.

Die Polizei wollte sich gestern zum Stand der laufenden Ermittlungen nicht äußern. Im Verfassungsschutzbericht wird die ICCB als gewaltbereite Organisation aufgeführt. Ihr Ziel sei die Errichtung eines islamischen Staates nicht nur in der Türkei, sondern weltweit. Die Versuche der islamischen Refah-Partei von Ministerpräsident Erbakan, in der Türkei auf parlamentarischem Weg das islamische Recht wieder einzuführen, lehnte er ab. Zur Durchsetzung seiner politischen Ziele predigte Kaplan laut Verfassungsschutzbericht den Heiligen Krieg. In der Türkei galt Kaplan als „Spinner“ mit wenig Einfluß. Wegen seiner Iran-Orientierung wurde Cemaleddin Kaplan auch als der „Chomeini von Köln“ bezeichnet. Das Kölner Verwaltungsgericht hatte 1994 Kaplans Ausweisung entschieden. Als anerkannter Asylbewerber konnte er jedoch nicht abgeschoben werden. Dorothee Winden