Polizisten ersetzen Pfleger

■ Polizisten sollen Straftäter in der Psychiatrie bewachen. Pfleger eingespart. Experten warnen vor „Pulverfaßeffekt“

Die Senatsverwaltung für Gesundheit will psychisch gestörte Straftäter, die in die Psychiatrie eingewiesen worden sind, künftig von Polizeibeamten bewachen lassen. Für die 72 Wachpolizisten sollen 72 Pflegekräfte abgebaut werden, sagte Gabriele Lukas, die Pressesprecherin von Gesundheitssenatorin Beate Hübner (CDU). Die Wachpolizisten werden in den forensischen Abteilungen der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik (240 Betten) und des Klinikums Buch (70 Betten) eingesetzt. Auf Wunsch der Ärzte sollen sie nicht auf den Stationen präsent sein, sondern vor allem die Außensicherung und die Begleitung von Patienten zu Terminen außerhalb der Klinik übernehmen. Sie sollen zudem die Besucher und Patienten am Eingang kontrollieren. Auf den Stationen dürfen sie nur auf ärztliche Anweisung tätig werden.

Derzeit handelt die Senatsgesundheitsverwaltung mit der Innenverwaltung die Details aus. Für den Einsatz von Wachpolizisten hatte man sich entschieden, weil private Wachschutzunternehmen keine Hoheitsrechte ausüben dürfen. Der private Wachschutz, der seit Jahren in der Forensik des Klinikums Buch eingesetzt wird, macht daher nur Patrouillengänge. Bislang war Bayern das einzige Bundesland, daß psychisch kranke Straftäter von Polizeikräften bewachen läßt.

Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, Bernd Köppl, befürchtet, daß die gerichtliche Psychiatrie damit Gefängnischarakter bekommt. „Das ganze Klima ändert sich.“ Köppl ist der Ansicht, daß Polizisten im Umgang mit Psychiatriepatienten überfordert seien. „Wenn ein Patient randaliert, weil er an Angstzuständen leidet, kann ein Polizist nicht angemessen darauf reagieren.“

Auch Psychiatrie-Experten wie der Gutacher Prof. Dr. Wilfried Rasch kritisieren den Einsatz von Wachpersonal als „überflüssig“ und kontraproduktiv. „Wenn ein Patient einen Pfleger bedroht, führen Gespräche am ehesten zu einer Entspannung der Situation. Ungeschickte Versuche, den Patienten unter Kontrolle zu bringen, bewirken dagegen eine Eskalation.“

Unter Psychiatriekennern gilt der Erfahrungswert: Je stärker die Sicherheitsvorkehrungen einer Anstalt, desto höher ist der Pulverfaßeffekt im Inneren – die Aggression innerhalb der Einrichtung steigt. Wilfried Rasch plädiert dafür, das Geld lieber in die Fortbildung des Personals zu stecken. Dies sei auch eine Investition in die Sicherheit.

Vorangetrieben wird das „Sicherheitskonzept“ von Staatssekretär Detlev Orwat (CDU). Nach einigen „Entweichungen“ von Straftätern hatte er bereits vor zwei Jahren die Aufrüstung der forensischen Abteilung von „Bonnie's Ranch“ vorangetrieben: Die Zäune sind erhöht und mit Alarmmeldern versehen worden. Rund um das Gelände führt ein befahrbarer Weg. In der Abteilung für Schwerverbrecher wird gegenwärtig eine Metalldetektorenschleuse eingebaut.

Eine Kritikerin der Hochrüstung hatte Orwat im Herbst 1996 abserviert: Sybilla Fried, die langjährige und in Fachkreisen anerkannte Leiterin des Psychiatriereferates der Gesundheitsverwaltung, wurde in den vorgezogenen Ruhestand versetzt, das Referat aufgelöst.

1995 sind nach Angaben der Senatsgesundheitsverwaltung aus der forensischen Abteilung von „Bonnie's Ranch“ insgesamt 152 Insassen „entwichen.“ Dazu zählen aber auch diejenigen, die nicht pünktlich vom Ausgang zurückkommen. Die wenigsten überwanden die Sicherheitssysteme, die meisten nutzten eine Vollzugslockerung aus und kamen von einem Freigang nicht zurück.

Doch trotz der Aufrüstung bleibt ein Schlupfloch in der Anstalt: Wer es einmal geschafft hat, aus der geschlossenen Abteilung herauszukommen, kann das Gelände unbehelligt verlassen. Der Pförtner kontrolliert am Ausgang nicht einmal die Personalien. Dorothee Winden