„Ich bin von der Politik abhängig“

Monatelang hat Gregor Gysi versucht, aus der Politik auszusteigen. Vorige Woche war er soweit. Doch dann ist er wieder umgefallen. Kann die PDS nicht ohne ihren Star, oder kann Gysi nicht ohne die PDS?  ■ Von Jens König

Berlin (taz) – Gregor Gysi will nicht Erich Honecker sein. Und nicht Helmut Kohl. „Man sieht“, sagt Gysi, „wohin das führt, wenn Politiker nicht wissen, wann Schluß ist.“ Weiß Gysi, wann Schluß ist?

Es sieht nicht so aus.

Gysi weiß, daß er von der Politik nicht abhängig sein will. Er mag keine Berufspolitiker. Die meisten Abgeordneten in Bonn, findet er, sehen aus wie Bundestagsdrucksachen, grau, leblos, ohne intellektuelle Substanz. Gysi hat immer das Vergebliche versucht: Politik zu machen und gleichzeitig Distanz zu ihr zu halten. „Ich bin ein Seiteneinsteiger“, hat der Anwalt fröhlich gesagt, „man kann auch zur Seite wieder aussteigen.“ Gysi fand in der letzten Zeit immer öfter, daß er auch das Recht hat auszusteigen. Was aber, wenn man den Ausgang nicht mehr findet? Oder wenn am Ausgang eine ganze Partei steht und sagt: Hier kommst du nicht durch?

Gysi ist jetzt fast acht Jahre genau das, was er eigentlich nicht sein will: Berufspolitiker. Vielleicht immer noch kein ganz gewöhnlicher, bestimmt auch ein besonders begabter, aber eben doch ein Politiker. Ist das schon die Antwort auf die Frage, warum er denn jetzt weitermacht, wenn er eigentlich aufhören will? Am Dienstag abend hat Gysi in einer geschlossenen Sitzung der PDS-Bundestagsgruppe in Bonn erklärt, daß er 1998 zur Bundestagswahl noch einmal antreten wird. Noch am Montag hatte er in einem Interview davon gesprochen, daß er über eine Pause von der Politik nachdenke.

Weiß Gysi nicht, was er will? Kokettiert er mit seinem Image? Erpreßt er seine Partei, von der er weiß, daß sie autoritätsfixiert ist, um sie auf seinen Kurs zu zwingen? Oder muß man Mitleid mit einem Politiker haben, der eigentlich aufhören will, der viele gut dotierte Angebote aus renommierten Anwaltskanzleien hat, den seine Partei aber nicht aufhören läßt?

Gysi war in der vorigen Woche soweit, alles hinzuschmeißen. Schluß, aus, vorbei. Am 8. Mai hat der Chef der PDS-Bundestagsgruppe seinem Parteivorsitzenden Lothar Bisky in einem langen Brief mitgeteilt, daß die PDS in Zukunft ohne ihn auskommen müsse. Und sie würde es schaffen, ohne ihn auszukommen, davon sei er fest überzeugt. Für Gysis Entscheidung sprachen persönliche und politische Gründe.

Gysi hat eine einjährige Tochter. Seine Frau Andrea Gysi (frühere Lederer), ebenfalls Bundestagsabgeordnete der PDS, wird aus privaten Gründen im nächsten Jahr nicht noch einmal für Bonn kandidieren. Außerdem machen Gysi die Vorwürfe, er hätte als IM für die Stasi gearbeitet, schwer zu schaffen. Er ist überzeugt davon, daß der Immunitätsausschuß des Bundestages, egal wie die Aktenlage ist, ihn für „schuldig“ hält und die Aufhebung seiner Immunität beantragen wird. Gysi wird sich dagegen wehren müssen – notfalls vorm Bundesverfassungsgericht. Und schließlich spricht die PDS selbst gegen ein Weitermachen. Gysi leidet zunehmend an seiner eigenen Partei, vor allem an ihrem kulturellen Konservatismus.

Nach diesem Brief läuteten in der PDS alle Alarmglocken. Ohne Gysi in den Bundestag? Keine Chance. Am vergangenen Sonntag trommelte Parteichef Bisky einen kleinen Kreis aus der Parteispitze zusammen, um Gysi umzustimmen. Gysi hörte sich alles an, wankte – und fiel. Dienstag nachmittag rief er Bisky noch einmal aus Bonn an, um ihm seine endgültige Entscheidung mitzuteilen: Er bleibe. Aber nur unter einer Bedingung: daß auch Bisky für den Bundestag kandidiere und mit ihm gemeinsam nach Bonn gehe. „Ich habe ihn einfach genötigt“, gibt Gysi zu. Und sich selbst dazu.

Gregor Gysi war über seine Entscheidung gestern noch nicht glücklich. „Mein persönlicher Wunsch reichte nicht aus, um die politischen Vorbehalte aus meiner Partei zu entkräften“, bekannte er. „Wenn Sie wollen, können Sie schreiben: Gysi ist von der Politik abhängig.“ Und dann schiebt er noch einen Satz hinterher: „Aber meine Chancen, in vier Jahren auszusteigen, sind gestiegen.“ Vielleicht ist das ja der Irrtum.