Durchzittern bis zum letzten Tag

■ Hamburgs Politikerkaste richtet sich auf einen langen Sterbenskampf von Voscheraus rot-grauem Regierungsexperiment ein / Doch Neuwahlen mag niemand vorschlagen

“Die werden alles machen, um bis 1997 durchzueiern.“ Diese Prognose der bündnisgrünen Bundessprecherin Krista Sager über die den Zustand des rot-grauen Hamburger Regierungsbündnisses trifft in der hiesigen Politikerkaste dieser Tage auf allerbreiteste Bestätigung. „Wir müssen mal abwarten“, verrät DGB-Chef und SPD-Bürgerschaftsabgeordneter Erhard Pumm, „das wird kompliziert“. „Wir müssen abwarten“, erklingt das Echo seines Fraktionschefs Günter Elste, und CDU-Sprecher Gerd Boysen orakelt: „Neuwahlen zeichnen sich nicht ab“. Sogar Ex-SPD-Chef Helmuth Frahm schließt sich diesmal einer offenbar flügelübergreifenden SPD-Sprachregelung an: „Ich kann gelassen abwarten.“ Die SPD-Basis, so meint er allerdings, sieht das ganz anders: „Da herrscht eine tiefe Frustration über das, was gegenwärtig abläuft.“

Eher vergnüglich nimmt mancher Christdemokrat die Geschichte: „Für mich ist es schon eine gewisse Genugtuung“, so ein höchst-rangiger CDU-Insider gegenüber der taz, „die Erfahrungen anderer mit Markus Wegner zu erleben. Der ist zu sozialem Miteinander nicht fähig. Wir haben es länger als jede andere Partei mit ihm ausgehalten.“

Die CDU labt sich am Zerfall von Rot-Grau gleich in mehrfacher Hinsicht: Neben der persönlichen Genugtuung in Sachen Wegner ist da die Freude des schmählichen Endes einer Partei, die einst ausgezogen war, einen neuen Typ von bürgerlicher Protestpartei zu etablieren. Genüßlich goutieren die Christunierten auch den Eiertanz des Regierungschefs: „Wenn Voscherau mit dem von ihm verantworteten und durchgeboxten Modell Rot-Grau scheitert, stellt sich die Bürgermeisterfrage.“

Wer diesen Prozeß der Demontage beschleunigen will, tut gut daran, sich zurückzuhalten. CDU-Sprecher Boysen: „Keine der Oppositionsparteien wird sich jetzt der SPD auf einem silbernen Tablett als Retter anbieten.“ GAL-Umweltexperte Alexander Porschke: „Wir gewinnen in jeder Situation.“

Kommt es zu Neuwahlen, einer Situation, welche Voscherau, alle SPD-Flügel und die Statt Partei angesichts der jüngsten, vernichtenden Umfragergebnisse (taz berichtete) tunlichst zu vermeiden suchen, rechnet die GAL mit sensationellen, die CDU immerhin mit deutlichen Zugewinnen. Geht aber das „Gezittere bis zum Ende der Legislaturperiode“, so GAL-Fraktionschef Willfried Maier, dann dürfte die Ernte für Grüne und Konservative kaum anders ausfallen. Ein CDU-Spötter: „Viele glauben, Voscherau sei ein großer Taktikter. Ich habe inzwischen einen ganz anderen Eindruck: Der Mann pfeift aus dem letzten Loch.“

Gleichwohl bereiten sich Grüne wie CDU derzeit insgeheim auf eine Regierungsbeteiligung vor. Zwar wünschen sich beide Neuwahlen, doch die CDU kann sie öffentlich schlecht fordern – schließlich hat sie den letzten Urnengang ja verschuldet. Das klammheimliche Angebot einer Großen Koalition steht also, wenngleich sich die Unions-Führung wenig Hoffnungen macht, daß die SPD sie darum bittet.

Der Grund: Jedwede Koalitionsdebatte würde die SPD in eine tiefe innere Zerreißprobe treiben. Dabei trauen sich die Gegner von Schwarz-Rot schon heute aus der Deckung. Erhard Pumm: „Rot-Schwarz wird es nicht geben. Wir haben doch keine Staatskrise!“ Und Helmuth Frahm lästert: „So weit verschuldet wie die Bremer sind wir noch lange nicht.“

Bleibt Grün-Rot. Voscherau, so das Kalkül, würde beim vorzeitigen Scheitern von Rot-Grau die SPD-Mitglieder befragen – nur so käme er um einen dann eigentlich fälligen Rücktritt herum. Votierte die Basis dann für Rot-Grün, dann „steht unverändert unser Angebot von 1993“, so Willfried Maier. Damit nicht genug: Nach taz-Informationen soll im Fall der Fälle auch SPD-Schreck Krista Sager aus Bonn zurück an die Elbe. DGB-Chef Pumm freut sich schon: „Stirbt die Statt Partei, dann werden die Karten neu gemischt.“

Florian Marten