Wenn die Lücken locken

■ Wissenschaftlicher Blick auf das Neue Museum Weserburg: Expertise über das Sammlermuseum auf dem Teerhof

Sechs Jahre nach seiner Gründung ist das Neue Museum Weserburg jetzt Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung geworden. Unter dem Titel „Freiheit des Sammlers – Grenzen des Museums“untersuchte die Kunstwissenschaftlerin Christine Breyhan „die Komplexität der Beziehungen zwischen Kunst, Museologie, Kommerz und Politik“. Ein Unternehmen, das zu einem 368 Seiten starken, eng bedruckten Buch geführt hat, das sich aufgrund seines streckenweise mühseligen Wissenschaftsjargons allerdings nur begrenzt für Laien eignet.

Insidern und kulturpolitisch versierten Lesern aber erschließt sich die Geschichte der Weserburg – als dem ersten reinen Sammlermuseum Europas – auf durchaus anregende Weise. Vor allem, wo es um die Abgrenzung des aus Privatbeständen bestehenden Sammlermuseums vom traditionellen staatlichen Museum geht, liefert die Autorin treffende Analysen: So verhelfe nicht nur die befristete Leihzeit der Kunstwerke dem Sammlermuseum zwangsläufig zu einem viel dynamischeren Gepräge, sondern dieses sei auch explizit auf Lückenhaftigkeit ausgelegt – im Gegensatz zum traditionellen Anspruch beinahe enzyklopädischer Homogenität, den das klassische Museum verfolge.

Besonders spannend wird die Erörterung des Museumskonzepts dort, wo die Autorin in den ausgestellten Werken selber so etwas wie ein verkleinertes Sammlermuseum nachweist. Bei Christian Boltanski etwa, dessen in der Weserburg präsentierte Werke sich selber als museale Kunstsammlungen lesen lassen, wodurch sie den Museumsgedanken gleichsam verdoppeln, wie Breyhans akribische Analyse zeigt.

Interessant ist auch die Einschätzung der Autorin bezüglich jener Sonderausstellungen, von denen man gemeinhin einen Lockeffekt für das Museum erwartet. Hier nämlich ist sie eher skeptisch: „Der Popularität einiger der großen Ausstellungen könnte man sogar Kunstfeindlichkeit bescheinigen, da bei ihrem Besuch die Exponate zum Dekorationsgegenstand degradiert werden.“Schade nur, daß die Frage, ob sich BesucherInnen von Sonderausstellungen nicht doch zum Wiederkommen animiert fühlen, aufgrund fehlender Befragungen hier nicht geklärt wird.

Auch der Präsentationsform von Kunst widmet sich Christine Breyhan ausführlich. Kritisiert sie einerseits das bewußt undidaktische Konzept der Weserburg als teilweise „unsinnlich und abweisend“und den „dirigierenden Gang zu den Informationstafeln“als autoritäre Struktur, so bescheinigt sie dem Museum andererseits eine insgesamt gelungene Integration von Architektur und Kunst. Und was schließlich die Qualität der über zehn in der Weserburg vereinten Sammlungen – und damit die Bedeutung dieses Museums für Bremen – angeht, kommt sie zu folgendem Schluß: „Seit Eröffnung des Neuen Museum Weserburg Bremen ordnet sich die Hansestadt in die bedeutenden Ausstellungsorte für zeitgenössische Kunst in der Bundesrepublik ein.“Na bitte.

Neben solchen direkt auf die Weserburg gerichteten Passagen findet in dem Buch aber auch ein wahrer Ritt durch die Museumsgeschichte Europas statt, der selbst KennerInnen noch Neues zu bieten hat. Geradezu unterhaltsam wird es dann, wenn die Autorin mit den Sammlern Gerstner, Grothe, Lafrenz und Onnasch die Motivation des Kunstsammelns erörtert und sie derjenigen der Kunstproduzenten Baselitz, Julius, Otte und Kanovitz gegenüberstellt. Hier verläßt das Buch den Sprachduktus einer Dissertation, der ansonsten das Lesen behindert – ganz abgesehen von den unzähligen orthographischen und Interpunktionsfehlern. Unverständlich, daß der Verlag beim Lektorat gespart hat. Moritz Wecker

„Freiheit des Sammlers – Grenzen des Museums“, Verlag Die Blaue Eule, Essen 1997, DM 68