Fallende Hosen für den Fürsten

■ Salzburger Festspiel-Intendant Gerard Mortier sprach auf Einladung der Kultur-Initiative „anstoss“über provokative Kunst

Kultur GmbH, Bremen Marketing GmbH, Arbeitskreis Musikstadt – ein Begriffsdschungel. Dazu folgt in der Stadt eine Kulturdiskussion der anderen. Selten gibt es hier befriedigende Ergebnisse, weil sich alle Gründe für das Gezeter miteinander vermischen: Welche Kulturschaffenden haben mehr oder weniger Geld aus welchen Gründen, ist und darf Kunst ein Wirtschaftsfaktor sein, was haben Hoch- und Soziokultur miteinander zu tun und und und... Der Machtwechsel in der Politik hält diese Debatten am Leben. Von der Kunst selbst, eigentlich doch der Gegenstand der Debatten, wird eher selten gesprochen. Eine Diskussion darüber will jetzt eine weitere Initiative in Gang setzen: Die Kulturschaffenden und interessierten Laien der neuen Initiative „anstoss“.

Sie taten es mit dem ersten Referenten hochkarätig: Daß das Schauspielhaus restlos ausverkauft war, als der Intendant der Salzburger Festspiele Gérard Mortier „Über die Unverzichtbarkeit der Provokation durch Kunst“sprach, zeigt auch einen derartigen Bedarf beim Publikum. Er komme, so begann der Flame, der besonders mit seinen Regieengagements die traditionellen Salzburger Festspiele durcheinanderwirbelt, gerade aus einer Kuratoriumssitzung. Dort wurde er wieder einmal gefragt, ob's denn nicht gemütlicher gehen könne in der Kunst? Keinesfalls, denn jeder gute Künstler stelle die Gesellschaft, in der er lebt, infrage: Jeder Künstler hat Antennen, die andere eben nicht haben“. In diesem Sinne, als Kommentar zu dieser Gesellschaft, hätten wir Kunstwerke anzusehen und zu verstehen.

„Visionäre“und „Provokateure“seien sie, Monteverdi wie Beethoven, Shakespeare wie Molière. Warum wir in der Kunst immer wieder einschlafen wollen, versteht Mortier nicht. Einen verstärkten Trend zu derartigem Konsum beobachte er besonders nach dem Mauerfall und den Maastrichtverträgen.

Gérard Mortier ist ein Mensch, aus dem es nur so sprudelt, der leidenschaftlich die Sache Kunst verteidigt, dem für alles, was er zu sagen hat, eine Menge Fundiertes wie Ironisches einfällt. Seitenhiebe auf die drei Tenöre - „da wird Geld mit Instinkten gemacht. Da kann man genausogut die Hose runterlassen. Entschuldigen Sie“- haben da ebenso ihren Platz wie der Hinweis auf Mozarts revolutionäre Kompositionstechnik im Don Giovanni: Wenn der nämlich mit der Gleichzeitigkeit von drei verschiedenen Tänzen ein strukturiertes Chaos komponiert. Am Schlußchor aus Fidelio liebt er den „utopischen Entwurf einer Hoffnung“. Die Gesellschaft basiere auf den drei Säulen Wirtschaft, Politik und Kultur, die nicht miteinander vermischt werden dürften. In der Kunst - einem Teil der Kultur - dürfe beispielweise nach Profit nicht gefragt werden.

Grundlage für sein Denken ist die Erklärung der Menschenrechte vor zweihundert Jahren. In deren Folge müsse verlangt werden, daß der Staat, also wir selbst, die Möglichkeit von Kunst garantieren: „Sonst geben wir Demokratie auf“. Das Sponsoring mit „den neuen Fürsten der Macht und des Geldes“hält Mortier für einen „gefährlichen Rückfall“in feudalistische Zustände. Der dadurch angefaßte Sponsor, der sich später in der Diskussion meldete, konnte beruhigt werden: Sponsoring müsse für Außergewöhnliches sein, aber der Staat dürfe nicht aus der Verantwortung für die Grundversorgung entlassen werden. Mortier bestand auf der intellektuellen Schwierigkeit von Kunst: „Ich finde es unverschämt, wenn die Leute jahrelang Tennis und Golf üben und von der Kunst verlangen, daß alles ganz leicht sein soll“. Noch um 23 Uhr war kein einziger Besucher gegangen, und das angeregte und erregte Niveau der Diskussion läßt hoffen: So kann tatsächlich ein breites und differenziertes Nachdenken über Kunst und deren Existenzbedingungen angestoßen werden. Der Feudalismus hat allerdings im modernen Staat immer noch seinen guten Platz: Elisabeth Motschmann, kulturpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, nämlich schimpfte während der Diskussion mit den bösen Künstlern: „Die verbrauchen einen großen Teil unseres Geldes und provozieren uns“. Der Schauspieler Theo Richter sprang auf und fragte Motschmann, ob sie denn eine Partitur lesen könne, was der eine oder andere Fürst immerhin schaffe. „Niemals darf Kunst die fata morgana der heilen Welt sein. Die Welt ist nicht heil, wir brauchen die Kunst, um nicht zu vergessen: Nur so kann Zukunft gebaut werden“. Man mochte sich noch lange nicht trennen, denn „anstoss“bot danach noch leckeren Wein.

Ute Schalz-Laurenze