Vom Ende urbaner Kultur

■ Bogdan Bogdanovic sprach über seine Thesen zum Tod der Metropolen

Zur Zeit der Renaissance gab es in Florenz und Bologna zwei unterschiedliche Techniken, um die Fenster zu schließen. Beide waren unpraktisch, typisch für die jeweilige Stadt und wurden eifersüchtig verteidigt. Heutzutage dagegen gleichen sich nicht nur die Fensterverriegelungsmechanismen in Paris, Los Angeles und Tokio. Städte werden untypischer, modernisieren und wachsen sich zu Tode. Die Urbanität ihrer Bewohner schwindet im umgekehrten Verhältnis zur räumlichen Ausdehnung.

Bogdan Bogdanovic, Urbanist, Professor für Architektur und ehemaliger Bürgermeister der Stadt Belgrad, offerierte seine Thesen am Donnerstagabend im Literaturhaus im Rahmen der Vortragsreihe Perspektiven metropolitaner Kultur. Als bekennender Kosmopolit vom wiedererwachten serbischen Nationalismus aus seiner Heimatstadt nach Wien vertrieben, hat er besonderen Grund, die Zerstörung städtischer Kultur zu beklagen. Doch nicht nur die zerschossenen Städte Ex-Jugoslawiens geben ihm Anlaß zur Trauer. Symptome des Verfalls sieht Bogdanovic rund um den Erdball.

Die „Phobie des urbanen Menschen vor dem Verlust der Stadt“ ist für ihn so alt wie die Geschichte städtischen Lebens selbst. Zeugnisse dafür finden sich schon in den Überlieferungen des Gilgamesch-Epos. Die Entwicklung der Polis zur Metropolis, zur Megalopolis und schließlich zur Nekropolis, zur Totenstadt, schien durch alle Zeiten folgerichtig.

Doch während das untergehende antike Rom wenigstens romantische Ruinen hinterließ, auch im Verfall noch eine faßbare und sichtbare Form bewahrte, zeigt sich für Bogdanovic in der Auflösung jeglicher Form, in der ausufernden Beliebigkeit, „die verlorene Stadt“ unserer Tage.

Die Stadt als Heimat von Geist und Wissen, jede für sich unverwechselbar, wird zur gesichtslosen architektonischen Masse. Das Netz der Städte, für Bogdanovic das Gegenbild zur Aufteilung der Welt in Nationen, trägt nicht mehr, wenn die Stadt ihren Bewohnern keine Identifikationsmöglichkeit mehr bietet.

Die Identität, die eine Stadt bieten kann, ist wählbar. Man kann sich für sie entscheiden. Seine nationale Herkunft dagegen kann man sich nicht aussuchen. Sie bildet daher immer einen Gegensatz zur persönlichen Freiheit. Der Verlust städtischer Kultur schreitet voran. Wer auch in 20 Jahren noch nicht aufs Land ziehen will, sollte sich mit Bogdanovic auseinandersetzen. Tim Fiedler

Beim Wieser Verlag sind von Bogdan Bogdanovic zwei Essaybände zu diesem Thema erschienen: „Architektur der Erinnerung“ und „Die Stadt und der Tod“