Zeichnungen im Raum

■ Die Hamburger Kunsthalle zeigt Pablo Picassos Wege zur Skulptur

„Eine Statue aus dem Nichts, aus Leere, das ist großartig.“ Diese Textstelle aus dem Roman Le poète assassiné von Guillaume Apolli-naire war für Pablo Picasso der Schlüssel zu einem neuen plastischen Ausdruck. Die Idee, eine Skulptur zu schaffen, die nicht aus materialisiertem Volumen, sondern aus Leere besteht, ließ den Maler Picasso im Jahre 1928 nicht mehr los. Aus dem künstlerischen Leitmotiv entstand die als Linie im Raum entwickelte „Eisendraht-skulptur“, die später nachhaltig bildhauerische Strömungen beeinflußte.

In den Carnets „Paris“ und „Dinard“, von Juni bis Dezember 1928 angefertigt und sich heute im Besitz der Tochter Marina, sind die einzelnen Arbeitsschritte des Meisters zur ex-negativo-Skulptur, die als Grabmal für den verstorbenen Dichterfreund Apollinaire gedacht war, genauestens zu studieren. Für die Hamburger Kunsthalle Anlaß genug, diese für das plastische Werk bedeutenden Skizzenbücher dem Publikum unter dem Titel Wege zur Skulptur komplett zu zeigen. Dafür wurden die insgesamt 95 Skizzenblätter aus ihrer Bindung herausgelöst. Einige Skulpturen, letztlich die Resultate der zeichnerischen Entwürfe, runden die Ausstellung ab.

Wie leidenschaftlich sich Picasso mit der Umsetzung seiner Ideen beschäftigte, zeigen Skizzenreihen, in denen er ein Sujet wieder und wieder variierte – immer auf der Suche nach Entdeckungen, auf der Suche nach der besseren Linie. Nicht umsonst gilt Picasso als einer der produktivsten Künstler dieses Jahrhunderts. So finden sich in seinem Nachlaß neben 1885 Gemälden nicht weniger als 170 Skizzenbücher.

Aber nicht nur die Skizzen zu den Drahtkonstruktionen, die er mit seinem Jugendfreund Julio González verwirklichte, sind sein Thema. Am Strand von Dinard in der Bretagne, beflügelt von einer erotischen Affäre, entwirft er „Plastiken auf dem Papier“. Sitzende Frauen verwandeln sich zu einer „Hammelkeule, einer Kartoffel, einer Gabel und einer Gurke“. Organische Bildkompositionen, die voller symbolgeladener Libido sind.

Eindrucksvoll auch jene gezeichneten Körper, die am Strandhorizont so montiert sind, als ob sich die Gliedmaßen verselbständigen. Picasso verbrachte offenbar einen sehr inspirierenden Liebesurlaub, bei dem sich sogar die Badekabine zum „Tempel am Meer“ verwandelte.

Dierk Jensen von 16. Juni bis 13. August