Wirtschaftswachstum per Straßenbahn

■ ÖPNV-Umweltkarten und Stadtbahnsysteme sind die Garanten moderner Verkehrs- und Wirtschaftspolitik / Aber nicht in Hamburg, wird der Senat heute befinden Von Florian Marten

Wird es in Hamburg eine Straßenbahn geben? Wann führt der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) eine regionale Umweltkarte ein? Wie sieht der HVV im Jahr 1996 aus, wenn die Regionalisierung des ÖPNV in Deutschland endgültig Verkehrswirklichkeit wird? Wer bezahlt das alles? Welche Auswirkungen haben neue Verkehrskonzepte auf Stadtfinanzen, Wirtschaft und Lebensqualität?

Fragen über Fragen, an deren Beantwortung in der Baubehörde, beim HVV, der Deutschen Bahn AG, der Hamburger Hochbahn AG und in den Beraterstäben des Ersten Bürgermeisters Henning Vosche-rau derzeit mit Hochdruck gearbeitet wird. Senator Eugen Wagners Baubehörde hat sich immerhin jetzt festgelegt: Heute befaßt sich der Senat mit einer Vorlage Wagners, welche die Einführung eines Stadtbahnsystems in Hamburg empfiehlt. Noch sind die Widerstände im Senat groß – der Ausgang der Beratungen ist unklar. Dabei, so legt der Blick auf andere Städte es zumindest nahe, liegt die Lösung der Hamburger Verkehrsprobleme auf der Hand:

Unsere Städte lassen sich nur mit einem hervorragenden öffentlichen Verkehssystem revitalisieren.

Erst wurde eine Stadtbahn eingeführt, dann wurden Parkplätze in Grünanlagen umgewandelt oder für den Bau von Büro- oder Wohnhäusern genutzt. Heute freut sich die US-amerikanische 400 000-Einwohner-Metropole Portland (Oregon) über ein Beschäftigungswachstum von 50 Prozent und die erstmalige Einhaltung der Schadstofflimits der US-Luftreinhalteverordnung.

Zufall? Nein, so meinte am Montag Pierre Laconte, Chef des Weltschienenverkehr-Dachverbandes UITP, zur Eröffnung des Weltkongresses über Öffentlichen Verkehr in Paris: „Die Revitalisierung des Lebens in unseren Städten, mehr Verkehr bei weniger Belastung, das geht nur mit einem hervorragenden Öffentlichen Verkehrssystem.“

Erst wurde die Straßenbahn ausgebaut, dann der regionale Schienenverkehr verbessert. Seit 1984 gibt es die Umweltkarte. Den erfolgreichen Abschluß bildete 1989 die Einführung einer regionalen Umweltkarte, der „Regio-Karte“ rund um die Universitätsstadt Freiburg. Wie eine wissenschaftliche Auswertung der Münchner Consultingfirma Socialdata jetzt ergab, sind die Erfolge erstaunlich: In Freiburg und den benachbarten Landkreisen sinkt seit 1989 die Autonutzung, allein in der Stadt selbst um bislang 29 300 PKW-Fahrten täglich. Auf Hamburg umgerechnet wären das fast 200 000 PKW-Fahrten, das Doppelte des Aufkommens im Elbtunnel! Dabei stieg die Zahl der ÖPNV-Kunden im badischen Umland sogar um mehr als 30 Prozent. Noch sensationeller war der Erfolg bei den ÖPNV-Muffeln schlechthin: Um fast 40 Prozent stieg die Kundenzahl in der Gruppe der „männlichen Erwerbstätigen“. Die Explosion der Fahrgastzahlen sorgte dafür, daß der öffentliche Zuschußbedarf in bescheidenen Grenzen blieb.

Zufall? Nein, meint Thomas Ruff von der Freiburger Verkehrs AG, sondern Kalkül: „Eine umfassende Vereinfachung der Tarifsysteme führt zu einem Attraktivitätssprung des ÖPNV.“ Für Ruff ist die Kombination von Stadtbahnsystem, effizientem regionalen Verkehrsverbund mit guten Regionalzügen im Halbstunden-Takt und regionalem Einheitsticket ein ebenso schlichtes wie wegweisendes Erfolgsrezept.

Hamburger Verkehrsverantwortliche tun derartige Vorstellungen jedoch als überwiegend wilde Phantastereien ab. Man dürfe, so verlautbart es unisono von HVV, SPD-Fraktionschef Günter Elste und Senator Eugen Wagner, Hamburg nicht mit Klein-Kleckersdorf vergleichen. Selbst den Grünen erscheint die Einführung einer regionalen Umweltkarte derzeit nicht finanzierbar. Tatsächlich hat der HVV mit einer geschickten Strategie der Preisdifferenzierung die wirtschaftliche Schwelle für ein Einheits-Billigticket hoch gelegt. Die Mixtur aus teuren Monatskarten für Berufstätige, den zeitlich eingeschränkten, aber billigeren City-Tickets und den Spezialrabatten für Großabnehmer (Großkundenabo) sorgt in Hamburg für hohe Einnahmen bei einer vergleichsweise hohen Stammkundenzahl.

Gern verweisen die Umweltkarten-Skeptiker denn auch auf das Beispiel des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR), der sein Umweltticket „2000“ teuer bezahlte, weil dem Rabatt von 38 Prozent ein Fahrgastzuwachs von nur 15 Prozent gegenüberstand. Freiburger Werte: 25 Prozent Rabatt, 22 Prozent Fahrgastzunahme. Der Pyr-rhus-Sieg der VRR-Offensive ist nach Auffassung des damaligen Chefstrategen Hermann Zemlin in der ungenügenden Abstimmung des Verkehrsangebotes durch die eigenwilligen Ruhrgebietsstädte und die unwillige Deutsche Bahn begründet. Zemlin wechselte deshalb zu den Wuppertaler Stadtwerken, wo er in überschaubarem Rahmen derzeit einen genialen Mix von Billigtarif, Angebotsverbesserung und Wirtschaftlichkeit realisiert.

Das Geheimnis lautet besseres Angebot, Straßenbahn, regionaler Schienenverkehr und Umwelt-Ticket.

Das Geheimnis liegt, so zeigt eine vergleichende Analyse unterschiedlicher ÖPNV-Strategien, in der ausgeklügelten Kombination von Angebotsverbesserung, Straßenbahn, regionalem Schienenverkehr und Umwelt-Ticket. Nach Informationen der taz müssen Hamburgs VerkehrsfreundInnen noch lange auf eine derartige Verkehrskonzeption warten: Die regionale Umweltkarte wird nicht einmal diskutiert, die Stadtbahn, wenn überhaupt, nur in Trippelschritten eingeführt, die Hausaufgaben für eine Verbesserung des regionalen Schienenverkehrs sind noch überhaupt nicht gemacht. In Hamburg herrscht, so ein führender Mitarbeiter des HVV zur taz, noch „blankes Chaos“.

Dabei sind mit energischer Verkehrspolitik sogar Wahlen zu gewinnen, wie die sozialistische Bürgermeistern Catherine Trautmann unlängst in Straßburg vorexerzierte: Im tiefkonservativen Elsaß feierte sie bei den französischen Kommunalwahlen jetzt eine triumphale Wiederwahl, nachdem sie innerhalb von nur sechs Jahren ein Stadtbahnversprechen verwirklicht und die Straßburger Verkehrspolitik mit Auto-Ausperrung und Fahrradvorrang revolutioniert hat.