Die Falschen getroffen

Vor 25 Jahren explodierten zwei Bomben im Hamburger Springer-Hochhaus. 17 Verlags-Angestellte wurden bei dem RAF-Anschlag verletzt  ■ Von Marco Carini

Die Worte des Mannes sind unmißverständlich: „In einer Viertelstunde fliegt das Haus in die Luft.“Doch die Telefonistin, die im Hamburger Springer-Hochhaus an der Kaiser-Wilhelm-Straße den anonymen Anruf entgegennimmt, hält die Ankündigung für eine leere Drohung. Anrufe dieser Art sind in der Zentrale des Springer-Verlages keine Seltenheit. „Ihr Schweine, ihr nehmt aber auch gar nichts ernst“, flucht die Stimme, der Hörer knallt auf die Gabel.

Kurz danach geht die zweite Drohung ein. „In fünf Minuten geht eine Bombe hoch“, warnt eine männliche Stimme: „Räumt sofort das Haus.“In Ruhe nimmt die Telefonistin noch andere Gespräche entgegen, dann erst benachrichtigt sie die Verwaltung. In diesem Moment ertönt ein ohrenbetäubender Knall.

Um Punkt 15.41 Uhr am 19. Mai 1972, vor 25 Jahren, explodiert die Bombe im Waschraum des dritten Stockes. Die Wände der Toilette stürzen ein, der angrenzende Korrektorenraum gleicht einer Trümmerwüste. Ein Mitarbeiter wird durch die Druckwelle aus dem Fenster geschleudert. Fast alle anwesenden KorrektorInnen werden verletzt. Um 15.46 Uhr explodiert eine weitere Bombe in der Frauentoilette des sechsten Stocks. Die Explosion reißt ein Riesen-Loch in die Außenwand.

Am Tag darauf meldet sich erneut ein anonymer Anrufer: „Es liegen noch mehr Bomben im Haus. Die Polizisten suchen an der falschen Stelle.“Tatsächlich finden die Beamten, die unmittelbar nach dem Anschlag das Verlagshaus auf den Kopf gestellt hatten, im zweiten Anlauf noch drei weitere Sprengkörper. Zwei von ihnen sind nicht funktionsfähig, der dritte kann entschärft werden. Drei Tage später bekennt sich ein „Kommando 2. Juni“der Rote Armee-Fraktion zu dem Angriff.

Der Anschlag kommt nicht allein: Während der sogenannten Mai-Offensive zünden verschiedene RAF-Kommandos zwischen dem 11. und 24. Mai an sechs verschiedenen Orten Bomben. In Frankfurt und Heidelberg kommen durch Anschläge auf Einrichtungen der US-Streitkräfte vier Soldaten ums Leben. In München und Augsburg werden Polizeiämter verwüstet, in Karlsruhe fliegt der VW eines Bundesrichters in die Luft. Immer sind die Ziele die Einrichtungen der in Vietnam kämpfenden US-Armee und das Personal oder die Organe des „staatlichen Repressionsapparates“.

Daß es auch die Springer-Zentrale treffen könnte, kommt deshalb auch für die Polizei unerwartet. Die Verlagshäuser des Konzerns waren wegen der aggressiven Berichterstattung der Springer-Presse gegen die Außerparlamentarische Opposition (APO) bereits Ende der sechziger Jahre zwar jahrelang Zielscheibe des StudentInnenprotestes gewesen: Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke im April 1968 (SDS-Parole: „Bild schoß mit!“) wurden sechs Verlags-Transporter angezündet. Ansonsten hatten sich die Proteste weitgehend auf Blockaden der Verlagsdruckereien beschränkt. Einer der verletzten Korrektoren gibt später zu Protokoll: „Wir wußten zwar, daß das Springer-Hochhaus oft belagert wurde von Studenten. Aber daß man uns direkt angreifen würde, indem man uns eine Bombe hinlegt, da haben wir nicht mit gerechnet.“

In dem Bekennerschreiben, daß die Staatsanwaltschaft Ulrike Meinhof zuordnet, versucht das RAF-Kommando, die Schuld an den 17 Verletzten der Konzernspitze zuzuschieben: „Springer ging lieber das Risiko ein, daß seine Arbeiter und Angestellten durch Bomben verletzt werden, als das Risiko, ein paar Stunden Arbeitszeit, also Profit, durch Fehlalarm zu verlieren. Wir sind zutiefst betroffen darüber, daß Arbeiter und Angestellte verletzt worden sind.“

Die Reaktion der Politiker und Medien auf den Anschlag ist erwartungsgemäß: „Was immer die Motive der Verbrecher sein mögen: Mit Verständnis dürfen sie nicht rechnen. Auch nicht bei denen, die Springers Politik nicht billigen“, kommentiert die Hamburger Morgenpost. Hamburgs Bürgermeister Peter Schulz verurteilt den Bombenanschlag als einen „Akt rücksichtsloser, brutaler Kriminalität“, und Bundeskanzler Willy Brandt warnt davor, die TäterInnen zu unterstützen: „Wer dies tut, macht sich mitschuldig.“

Die Worte des sozialdemokratischen Regierungschefs trafen genau den Nerv der linken Öffentlichkeit. Noch 1971 hatte – nach einer repräsentativen Umfrage des Allensbacher Institutes – noch jedeR vierte BundesbürgerIn unter 30 Jahren „gewisse Sympathien“für die RAF bekundet. Die Bombendetonationen, vor allem aber der Springer-Anschlag, lösen jedoch einen Diskussionsprozeß innerhalb der „Linken“aus, in dessen Verlauf sich die meisten Gruppen eindeutig von der RAF distanzieren.

Der Arbeiterkampf, das in Hamburg erscheinende Organ des Kommunistischen Bundes (KB), wirft den BombenlegerInnen vor, „das Leben und die Gesundheit der dort Arbeitenden verbrecherisch aufs Spiel gesetzt“und „den reaktionären Kräften“einen „Riesengefallen getan“zu haben. In der Konkret, für die Ulrike Meinhof jahrelang als Kolumnistin gearbeitet hatte, fordern prominente Linke wie die Schriftsteller Walter Jens und Günter Wallraff zur Aufkündigung der Solidarität mit der RAF auf.

Selbst innerhalb der RAF und in ihrem Umfeld wird der Anschlag des Hamburger Kommandos scharf kritisiert. So beklagt der 1971 wegen der Befreiung von Andreas Baader angeklagte Ex-Anwalt Horst Mahler sieben Jahre nach dem Anschlag, die Aktion sei ein Wendepunkt in der RAF-Geschichte gewesen: „Da wurde völlig klar, daß sich die Praxis völlig loslöste von dem, was wir mal gemeinsam uns unter Praxis vorgestellt haben. Denn jetzt wendeten sich die militärischen oder militanten Aktionen gegen den Teil des Volkes, für den man vorgab, diesen Kampf zu führen, nämlich für Arbeiter und Angestellte“.

Im Stammheim-Prozeß gegen die RAFlerInnen Baader, Gudrun Ensslin, Meinhof und Jan-Carl Raspe distanzierte sich 1976 auch Ensslin von dem Bombenanschlag, indem sie ihn als eine der Aktionen bezeichnete, „deren Konzeption wir nicht zustimmen und die wir in ihrem Ablauf abgelehnt haben.“

Eine Aussage, die zu waghalsigen Interpretationen geführt hat. So legt etwa der heutige Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust in seinem Buch „Der Baader-Meinhof-Komplex“nahe, daß der unaufgeklärte Tod Ulrike Meinhofs eine Selbsttötung war, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ensslin-Erklärung stehen könnte: „Wenn es stimmt, ... daß Ulrike Meinhof zumindest mitverantwortlich für den Anschlag auf das Hamburger Springer-Haus war, (mußte) die geplante Distanzierung Gudrun Ensslins ... auf sie wie die öffentliche Aufkündigung der Solidarität wirken. Vier Tage später war Ulrike Meinhof tot.“