Wenn Männer zu sehr lieben

■ Immer öfter wird die Straße zum Schauplatz für Gewalt. Geht es bei Beleidigungen nur ans Geld, ist bei Schlägen meist die Pappe weg. Wiederholungstäter wandern in den Knast

Ludwig K. fährt mit seinem Firmenwagen die Stadtautobahn entlang. Vor ihm Claus S. in seinem Mitsubishi, vorschriftsmäßig mit 80 Stundenkilometer. Ludwig K. ist das zu langsam. Er gibt ihm mit Gesten zu verstehen, daß er schneller fahren soll. Doch Lehrer Claus S., der wie auch Rentner Ludwig K. die gleiche Ausfahrt benutzen will, fährt weiter nach Vorschrift. An der Ausfahrt überholt ihn Ludwig K. und setzt zur „Rache“ an. Er fährt so knapp vor Claus S., daß dieser heftig bremsen muß, um einen Aufprall zu vermeiden. Bei etwa 70 Stundenkilometer bremst Ludwig K. grundlos zweimal so heftig ab, daß Claus S. auf 20 Stundenkilometer runtergehen muß. An der Ampel am Ende der Autobahnabfahrt hält Claus S. an und stellt Ludwig K. zur Rede. Ob er „verrückt“ sei, sich so zu benehmen. Ludwig K. paßt sein verbales Verhalten seinem Fahrstil an: „Was willst du jetzt, du Arschloch? Laß mich in Ruhe, du Drecksau!“ antwortet er. Dann hält er Claus S. eine Schreckschußpistole an die Brust. „Wenn du nicht verschwindest, knalle ich dich ab!“ schreit er. Verschreckt und fassungslos geht Claus S. zu seinem Auto zurück. Die Ampel springt auf Grün, Ludwig K. rauscht davon.

Claus S., der sich das Kennzeichnen gemerkt hat, erstattet Anzeige. Ludwig K., der bereits in der Vergangenheit einem Autofahrer eine Gas- und Alarmpistole an die Brust gesetzt hatte, muß wegen Nötigung und Beleidigung 3.500 Mark Strafe zahlen und den Führerschein für drei Monate abgeben.

Aggressionsdelikte im Straßenverkehr rangieren nach Trunkenheit am Steuer, Unfallflucht und Fahren ohne Führerschein an Platz vier der Verkehrsdelikte. „Das sind vor allem Beleidigungen und Zuschlagen“, weiß Peter Fahlenkamp, Richter am Amtsgericht Tiergarten. Der 61jährige Verkehrsrichter, der seit der Wiedervereinigung eine starke Zunahme des Aggressionspotentials festgestellt hat, ist „nicht willens, es so einfach hinzunehmen, daß sich Menschen so sehr an die Wäsche gehen“. Deshalb sei er bei Aggressionsdelikten „ziemlich scharf“ und kenne „kein Erbarmen“.

Die Strafsätze für Beleidigungen sind je nach Schwere und Hintergrund gestaffelt: So kostet einmal Vogelzeigen 8 bis 10 Tagessätze, der Stinkefinger 10 bis 15 Tagessätze, Zunge rausstrecken schlägt mit immerhin 5 Tagessätzen zu Buche, „Wichser“ mit 15 bis 20 Tagessätzen. Werden Frauen mit Sprüchen wie „Hast du heute schon gefickt?“ sexistische angemacht, verhängt Fahlenkamp 20 Tagessätze. Ist die Beleidigung rassistisch gefärbt wie bei „Du Türkennutte“, erleichtert der Richter den Angeklagten neben 25 Tagessätzen auch um den Führerschein. Die Tagessätze richten sich nach dem Einkommen der Täter und liegen im Schnitt bei 100 Mark. Auch mit wiedervereinigungsbedingten Auseinandersetzungen hat es Fahlenkamp zu tun. „Du alte Ostbirne“ schallt es aus dem Westen, „Du Wessischwein“ aus dem Osten. Für dieses in den Augen von Richter Fahlenkamp „besondere Maß an Unvernunft“ sind 20 Tagessätze fällig.

Setzt jemand auch die Fäuste ein, wartet Richter Fahlenkamp unter Umständen nicht erst den Prozeß ab, um den Führerschein zu entziehen, sondern läßt ihn sofort beschlagnahmen. Um zu vermeiden, daß Verkehrsrowdies die Pappe als „verloren“ deklarieren, reiche oft die Ankündigung einer Hausdurchsuchung. Und manch Hausdurchsuchung hat „verlorene“ Pappen zutage gefördert – festgeklebt unter der Klobrille beispielsweise.

An den Erfolg von auch noch so hohen Geldstrafen glaubt der Richter nicht. Nichts sei so schmerzhaft wie der Führerscheinentzug: „Das ist das Übelste, was dem Deutschen passieren kann.“ Deutschen Autofahrern attestiert er ein „fast erotisches Verhältnis“ zu ihrem Gefährt. „Wenn du keine Pappe hast, bist du kein Mann“, so sein Resümee. Die Ausbeute der 52 Verkehrsstrafabteilungen am Amtsgericht Tiergarten kann sich sehen lassen: Nach Angaben von Fahlenkamp werden pro Jahr etwa 500 Führerscheine entzogen.

Haftstrafen werden in der Regel nur bei Wiederholungstätern verhängt. In seiner 16jährigen Praxis am Verkehrsgericht hatte Fahlenkamp nur einen solchen Fall. Ein BMW-Fahrer wollte eine Radfahrerin, die es gewagt hatte, ihn mit ihrer Fahrradklingel anzubimmeln, „verwarnen“. Dreimal fuhr er auf den Radweg und brachte die Frau schließlich zu Fall. Weil sie dabei mit ihrem Fuß „gegen sein heilig's Blechle“ kam, warf sich der Autofahrer auf sie und würgte sie, „daß ihr die Augen raustraten“. Weil der Fahrer schon zweimal wegen Verkehrsunfallflucht verwarnt worden war, lautete Fahlenkamps Urteil auf vier Monate Knast, 14 Monate Führerscheinentzug und 3.000 Mark Geldstrafe. Barbara Bollwahn