Böhmische Dörfer im ZDF

■ Veteranensicht: Ein Film über Tschechen und Deutsche

Die Geschichte, um die es geht, ist über tausend Jahre alt. Doch den Kampf um diese Geschichte gibt es erst knapp 200 Jahre. Und der ist leider noch nicht zu Ende. Um Tschechen und Deutsche geht es zu Pfingsten, wenn sich die Vertriebenenfunktionäre treffen. Doch man kann nicht einmal genau sagen, wann die Menschen zwischen Egerfluß und Oderquelle nicht mehr Böhmen und Mähren waren und die nationale Differenz zum alles bestimmenden Kriterium wurde. Vieles spricht dafür, daß es im 19. Jahrhundert begann, als der Nationalismus über Europa kam. Mit der Erosion des Habsburger Reiches wurde es nämlich in Ostmitteleuropa plötzlich wichtiger, sich einer Nation zuzuordnen als einer Herrschaft. Und die deutschen und tschechischen Nationalisten in Böhmen und Mähren begannen, sich eine Geschichte zu erfinden.

Merkwürdigerweise erfährt man in dem ZDF-Film wenig davon. Geschichte ist auch für die ZDF-Autoren eine Wahrheit, die berichtet werden kann, obwohl diese Geschichte seit Jahrzehnten Ansichtssache ist oder Zankapfel. Das Erwachen der Nationalbewegungen und ihre erbitterten Kämpfe um die Geschichte im 19. Jahrhundert werden nur kurz gestreift – aber nicht erklärt. Wir sehen das Prager Nationaltheater, den (kulturellen!) Ausdruck des jungen tschechischen Nationalbewußtseins. Doch über die Hintergründe erfahren wir wenig.

Und die Deutschböhmen und Deutschmähren (die später verzerrend „Sudetendeutsche“ genannt werden)? Ihr Nationalismus kommt nicht vor. Folgt man dem Film, führte ein herrschaftsgeschichtlicher Fehler zu dem Streit. Auch die sozialen Konflikte zwischen deutschen und tschechischen Böhmen werden ausgespart. Ebenso die Vereinnahmungsversuche, die die Deutschböhmen aus Bismarcks Reich erfuhren.

Vielleicht liegt es ja an den Autoren des Films. Der eine, Ludek Pachmann, war in den Siebzigern und Achtzigern stets dabei, wenn es galt, die Versöhnung mit dem Osten zu geißeln. Warum fand man keinen anderen als einen 74jährigen Kalten-Kriegs-Veteranen, uns die tschechische Sicht auf die Geschichte zu erklären?

Der Kampf um die Geschichte, sehen wir, dauert an. Dieser Film will zuweilen lieber Teil des Kampfes sein, als ihn erklären. Auch wenn er auf allzu grobschlächtige Proklamation seiner Sicht verzichtet und eher durch sperriges Deutsch und eine leichte Neigung zur Binse auffällt. Leider kam eine Koproduktion mit dem tschechischen Fernsehen nicht zustande. Sie wäre der interessantere Versuch geworden, den Kampf um die Geschichte zu beenden. Lutz Meier

Teil 1 (bis 1918), Mo., 21.50 Uhr, Teil 2 (ab 1918) 25. Mai, 22.20 Uhr