Hermannsschlacht, Teil 2

■ "Westfalen-Blatt" läuft Amok gegen Deutschen Presserat und andere Linke

Mit den Ausländern kamen die Messer ins Land. Da ist sich der Westfalen-Blatt-Verleger Carl- Wilhelm Busse ziemlich sicher, schließlich kann er ja das große Einmaleins: „Unser durch die Maßnahmen der Siegermächte eingeschränktes Staatsgebiet hat viermal so viele Asylanten, Kriegsflüchtlinge aufgenommen wie im gleichen Zeitraum die USA!“ rechnete er den Lesern Mitte der Woche vor und folgerte nach einer halben Seite Kriminalstatistik nicht minder zackig: „Damit wird aus unserem Volk ehrbarer, gesetzestreuer Staatsbürger eine Ansammlung von Kriminellen.“

Nun sind Tiraden solchen Umfangs selbst bei der erzkonservativen Abonnementszeitung aus Bielefeld (Auflage ca. 145.000 Exemplare) selten. Normalerweise wird Ausländern, Linken und Schwulen in knappen Kommentaren das Bleiberecht entzogen. Weil aber genau solch ein Kommentar letzte Woche eine Rüge des Presserats wegen Diskriminierung von Ausländern nach sich zog, sah sich der betagte Verleger zum verbalen Gegenschlag gezwungen – schließlich hatte der Verfasser des beanstandeten Beitrags nur eine in der Leserschaft weit verbreitete Meinung auf den Punkt gebracht: „Messerstecher, Vergewaltiger, Kinderschänder und Mörder gab es damals noch nicht im Umfang wie heute... Hier tritt eine Folge der Überschwemmung mit Ausländern zutage.“ Für den „Bayernkurier“ aus dem Teutoburger Wald war das freilich nicht der erste Ausfall dieser Art. Schon 1993 war man ebenfalls wegen rassistischer Bemerkungen gerügt worden. „Damals haben wir den Entschluß gefaßt, uns aus dem Deutschen Presserat zurückzuziehen“, ließ der Herausgeber am Donnerstag wissen, verschwieg allerdings, daß das gar nicht geht – schließlich ist das Westfalen-Blatt (noch) Mitglied im Verband deutscher Zeitungsverleger. So erfuhren die Leser aus anderen Zeitungen, daß ihr Blatt wieder einmal in einer Reihe stand mit Schmuddelkram wie dem Magazin Coupé, das fast vollständig aus Arsch und Titten besteht. Und die haßt auch Katholik Busse noch mehr als den Presserat.

Egal in welcher Form: Erst im März hatte das Westfalen-Blatt drei Redakteure wegen einer nie veröffentlichten „Larry Flynt“-Rezension rausgeworfen (taz vom 15.3.). Nachdem zwei der Kündigungen vom Arbeitsgericht Herford kassiert worden waren (u.a. weil die Betroffenen dem Betriebsrat angehören), legte die Geschäftsführung mit einer weiteren außerordentlichen Kündigung nach: diesmal allerdings nicht aufgrund eines Verstoßes gegen die „christlich- konservative Tendenz“ des Blattes, sondern noch kruder: wegen des Verrats von Geheimnissen an die „linke Presse“. Denn die hatte sich erdreistet, über den ostwestfälischen Presseschwank zu berichten – neben taz und Frankfurter Rundschau auch die Konkurrenzzeitung Neue Westfälische, die den sittenstrengen Westfalen-Blatt- Chefredakteur Rolf Dressler kurzerhand zum „letzten, aufrechten Retter des Abendlandes“ schlug.

Dessen Kreuzzug nimmt seitdem immer groteskere Formen an. Kurz nach Ostern blies er zum Sturm auf die „Seilschaft mißgünstiger Verleumder“, die in „linksverschwörerischer Connection- Manier“ über ihn hergefallen sei. Das Schlußwort entlieh sich der Protestant überraschenderweise nicht aus der Bibel, sondern von Erich Kästner: „Es ist besser, beizeiten Deiche zu bauen, als darauf zu hoffen, daß die Flut allmählich Vernunft annimmt.“

In der Geschäftsführung hielt man den wirren Gesinnungsaufsatz gleich für so gelungen, daß man ihn als Sonderdruck an Bielefelder Stadtverordnete weitergeben wollte – wogegen widerum die Neue Westfälische erfolgreich klagte. So folgte als letzter Akt der Posse nur eine Leserbriefseite – die aber las sich, als hätte sie der Chefredakteur mit Schaum vorm Mund redigiert. O-Ton: „Die konzertierten Gesinnungsaktionen von Frankfurter Rundschau, taz und Zeit zielen auf auf eine immer stärkere Enthemmung des Menschen und leisten einem Zeitgeist Vorschub, der die ethisch-geistigen Grundlagen zerstört.“

Damit die wenigstens beim Westfalen-Blatt gewahrt bleibt, hat man sich dort zehn Gebote ausgedacht und den Mitarbeitern zur Unterzeichnung vorgelegt. In Zukunft soll „für den Erhalt des Christentums als staatstragende Religion und die Stärkung der Vaterlandsliebe“ geschrieben werden.

Verweigerern dürften ungemütliche Zeiten ins Haus stehen – schon jetzt regiert die Angst vor der hauseigenen Inqusition. Eine der entlassenen Kinoredakteurinnen hat sich inzwischen mit der Geschäftsführung auf eine Abfindung geeinigt, und auch der Autor der inkriminierten „Larry Flynt“-Rezension scheint mürbe zu sein. Am Donnerstag wurde sein Termin vor dem Arbeitsgericht vertagt, was auf einen pragmatischen Tausch hinter den Kulissen hinweisen dürfte: innere Pressefreiheit gegen Geld. Oliver Gehrs