Allmähliches Ende der Kohlrouladen-Ära

■ Immer mehr Unternehmen lassen ihre Kantinenversorgung von Fremdfirmen sicherstellen. Leichte Einheitskost mit Salaten, Pasta und Fischgerichten führt die Hitliste an

Berlin (taz) – Nun ist es also passiert. Currywurst mit Pommes, einst Kultmenü in vielen deutschen Kantinen, ist nach Angaben der Cateringfirma „appetito“ auf den siebten Platz in der Beliebtheitsskala abgerutscht. Jahr für Jahr erstellt das Unternehmen für Gemeinschaftsverpflegung eine Rangliste, in der in diesem Jahr die leichte Kost – von überbackener Hähnchenbrust und Gemüseaufläufen bis zu Fischgerichten – als Sieger hervorging.

Immerhin 21,5 Prozent der bundesweit rund 36 Millionen Erwerbstätigen haben die Möglichkeit, mittags im Betrieb zu essen. Im Durchschnitt geben sie fünf Mark für eine Mahlzeit aus, knapp sieben Mark – so das Branchenblatt gv-Praxis – steuern die Unternehmen bei. Vor allem der hohe Personalkostenanteil hat viele Firmen in den letzten Jahren dazu veranlaßt, die betrieblichen Küchenmannschaften aufzulösen und einen der großen Caterer einzusetzen. Unternehmen wie appetito, Hansa, Eurest oder Sodexho streiten sich in Deutschland um einen Gesamtmarkt von rund 18 Milliarden Mark jährlich.

Schon in den Gründerjahren des industriellen Deutschlands stellte sich die Frage, wann die Arbeiter und Angestellten in Fabrikhallen und Kontoren denn Nahrung zu sich nehmen könnten. Über Kantinen verfügten nur wenige Unternehmen, in den anderen Speiseräumen wurden lediglich Wärmevorrichtungen installiert, um die Henkelmänner im Wasserbad erhitzen zu können. Zehn Minuten dauerte es, bis die mitgebrachten Speisen eßwarm waren. Zur Sicherheit wurden die Henkelmänner durchnumeriert, um Verwechslungen zu vermeiden.

Allerdings sahen die Unternehmensleitungen die unterschiedlichen Mahlzeiten ohnehin als Quelle von Unverträglichkeiten und Störungen der Kameradschaft an. Ernst mit der Vereinheitlichung machten dann die Nationalsozialisten, die das Amt „Schönheit der Arbeit“ damit beauftragten, Regeln für Speiseräume und Küchen zu erstellen und damit die „Verabreichung“ eines warmen Mittagessens an die betrieblichen „Gefolgschaftsmitglieder“ zu vereinheitlichen. Heute heißt es: „Ziel der betrieblichen Gemeinschaftsverpflegung“, so Heinz Wolfram Ernst von der Freiburger Managementakademie, „ist es, kurzfristig die Leistungskurve der einzelnen Mitarbeiter auf einem hohen Niveau in einer begrenzten Bandbreite zu halten, mittel- und langfristig die Leistungsfähigkeit aufgrund eines guten allgemeinen Gesundheitszustandes zu erhalten – kurz, das individuelle Wohlbefinden zu steigern.“

Dem veränderten Ernährungsverhalten der Deutschen trugen die Caterer selbstverständlich Rechnung: Neben Salaten, Vollwertgerichten und fleischlosen Menüs stehen Pasta, Gratin und Seafood ganz oben. Selbst die Kantinenesser in den neuen Bundesländern haben sich zwischenzeitlich von ihren alten Lieblingsspeisen mit hohem Fleischanteil (jahrelang auf Platz eins: Kohlroulade) getrennt und bevorzugen Angebote mit internationalem Flair. Damit, so der Caterer Sodexho Eiring, wird „mit Ideen aus aller Welt Farbe in den Arbeitsalltag“ gebracht: Sandwich-Bar mit Angeboten nach Wunsch, frische Croissants, französische Baguettes und türkisches Fladenbrot.

Ökologische Argumente spielen in den Betriebskantinen und bei den Caterern, die aus Kostengründen internationalen Einkauf und Vorverarbeitung zu Fertigprodukten favorisieren, keine Rolle. „Moderne Großtechnik und die Internationalisierung der Ernährungsindustrie gefährden die enorme Vielfalt der überkommenen Eßkulturen“, stellt die Fachgewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten fest, und die Aktion „Brot für die Welt“ kritisiert, daß im Alltag der Küchen, „die einfache und preiswerte Verfügbarkeit über die weltweiten Lebensmittel nicht nur zur Saisonlosigkeit, sondern auch zu einer Vereinheitlichung des Geschmacks geführt“ habe.

Gerichte aus Zutaten der Region und der Jahreszeit zu kochen, würde Transportwege, Energie und Kosten sparen, wäre ein Beitrag zum Klimaschutz und würde die Exportorientierung der Landwirtschaften der Dritten Welt reduzieren. Hoffnung gibt es allerdings noch, denn auch der Caterer Eurest meint in einer Werbebroschüre, „daß so mancher weltgewandte Manager die Langustenmedaillons links liegen läßt, wenn Eintopf auf der Tageskarte steht“. Horst Peter Wickel