■ Ein Leidensbericht aus dem Krisengebiet
: Frühjahrsputz mit der Liebsten

Wieso der Mensch den Frühjahrsputz erfunden hat, weiß niemand so genau. Warum nicht Herbst- oder Winterputz? Warum nicht großes Sommerreinemachen? Fragen über Fragen. Und keiner kennt eine Antwort.

Fest steht indessen, daß das traute Heim in der Säuberungssaison gut eine Woche lang unbewohnbar ist. Ein Frühjahrsputz verdient seinen Namen nämlich nur dann, wenn er in puncto Gründlichkeit dieselbe Qualität besitzt wie weiland eine Kofferraumdurchsuchung an der Grenze der DDR. Sein Ziel ist eine Form von Reinheit, die für gewöhnlich nur in den Operationssälen unserer Krankenhäuser herrscht. Die säuberungswütige Hausfrau beschränkt sich deshalb durchaus nicht darauf, die Fensterbretter abzustauben. Statt dessen erklärt sie auch jenen versprengten Schmutzpartikeln den Krieg, die sich in den entlegeneren Tiefen der Auslegeware verstecken, und das hat zur Folge, daß man mehrere Tage lang durch einen knietiefen Schaumteppich waten muß, wenn man sich in seinen Ohrensesseln fläzen und einen Blick in die Fernsehnachrichten werfen will.

Insofern wären die Lebensgefährten der vom Reinheitswahn befallenen Frauen gut beraten, bei alleinstehenden Freunden unterzutauchen, sobald sie bemerken, daß ihre Liebste sich Großmutters alten Arbeitskittel übergeworfen hat. Bedauerlicherweise ist es jedoch auch bei den alten Kumpanen nicht sehr viel wohnlicher als in den eigenen vier Wänden – was freilich daran liegt, daß sie in der Schule gefehlt zu haben scheinen, als der Lehrplan eine Einweisung in den Umgang mit Staubtuch und Geschirrspülmittel vorsah. Ratlos und kopfschüttelnd sehen sie dem hemmungslosen Wachstum von Abwaschbergen zu, betrachten staunend ein zartes Löwenzahnpflänzchen, das in der Humusschicht auf dem Dielenfußboden Wurzeln geschlagen hat, und haben die Besenkammertür vernagelt, weil man beim Öffnen derselben von Altglas erschlagen würde, das sich dahinter bis unter die Decke stapelt.

Aber zu solch unerfreulichen Kurzbesuchen kommt es selten. Es meldet sich vielmehr – kaum daß man mit dem Schmieden von Fluchtplänen beginnt – eine vorwurfsvolle Stimme zu Wort. Es ist, kein Zweifel, die Stimme des Gewissens. „Na, hör mal“, sagt sie, „willst du dich tatsächlich als Schuft vom alten Schlage outen, der seine Liebste den ganzen Haushaltskram alleine erledigen läßt?“ – „Natürlich nicht“, gibt man zurück, und dann, resigniert: „Na schön, du hast gewonnen.“ Und meldet sich bei der Liebsten zum Dienst.

Auf diese Weise kommt man am Ende selber noch zu einer Hauptrolle in dem großen Reinigungsspektakel. Man rückt auf Geheiß seiner Wohngenossen schwere Eichenholzschränke von der Wand, um hinter ihnen nach Spinnweben fahnden zu können. Man trägt Großmutters Feiertagsgeschirr vom Dachboden in die Küche, weil es trotz definitiv staubdichter Verpackung einmal im Jahr abgespült werden muß. Man entfusselt die Winterpullover mit Hilfe eines kleinen Rasierapparats und klettert schließlich auf eine bedenklich wackelnde Stehleiter, um die Gardinen abzunehmen.

Zur Belohnung jedoch wird man von seiner Liebsten aufopferungsvoll gepflegt, wenn man nach dem Zusammenbruch der Leiter mit zwei eingegipsten Armen aus der Unfallklinik nach Hause zurückkehrt. Schade ist eigentlich nur, daß viele Freunde es sich bei ihren Krankenbesuchen nicht nehmen lassen, in einem unüberhörbar ironischen Tonfall daran zu erinnern, daß die meisten Unfälle ja erwiesenermaßen im Haushalt passieren. Joachim Schulz