Zaire und Mobutu sind Geschichte, Kongo hat mit Laurent Kabila ein neues Staatsoberhaupt. Und schon ist der Streit um den Sinn baldiger Wahlen entbrannt. Kabila selbst wird zweifellos dem Neuaufbau von Staat und Wirtschaft Priorität einräum

Zaire und Mobutu sind Geschichte, Kongo hat mit Laurent Kabila ein neues Staatsoberhaupt. Und schon ist der Streit um den Sinn baldiger Wahlen entbrannt. Kabila selbst wird zweifellos dem Neuaufbau von Staat und Wirtschaft Priorität einräumen.

Kabila kennt nur noch Kongolesen

Der Krieg in „Kongo/Ex- Zaire“ ist vorbei. Die „Allianz demokratischer Kräfte für die Befreiung von Kongo“ (AFDL) regiert, ihr Führer Laurent-Désiré Kabila ist Staatschef. Was kommt nun auf die 45 Millionen „Ex-Zairer“ zu?

Ihren bisherigen Erklärungen zufolge plant die AFDL Wahlen nach einer einjährigen Übergangsperiode. Die USA haben dafür zehn Millionen Dollar Finanzhilfe versprochen. Kabila selbst hat jedoch auch gesagt, er wolle fünf Jahre lang an der Macht bleiben.

Unabhängige Beobachter sind sich über den Sinn schneller Wahlen unsicher. Mitglieder unabhängiger zairischer Entwicklungsorganisationen waren sich im März bei einem Treffen in Bonn einig, daß allein so elementare Dinge wie eine Volkszählung und die Erstellung eines Wahlregisters in dem riesigen Land extrem schwierig wären und lange dauern würden, zumal in den östlichen Landesteilen die ethnischen Konflikte, die der AFDL-Rebellion zugrunde liegen, weiter toben.

Sofortige Wahlen wären wohl eher eine Art Jubelplebiszit für Kabila. Keine Wahlen abzuhalten, würde dagegen die AFDL dem Vorwurf aussetzen, eine Diktatur errichten zu wollen. Es gibt Vorschläge eines Mittelwegs, zum Beispiel von Exilzairern in den USA. Ihnen schwebt eine dreijährige Übergangsperiode vor. Das sei lang genug, damit sich richtige politische Parteien bilden können, und zu wenig für den Aufbau einer Diktatur.

Jenseits des Streits um einen Wahltermin wird eine AFDL-dominierte Regierung zunächst mehr Staat bedeuten. In Mobutus Zaire diente der Staat nur seinen Amtsträgern. Vom Bildungswesen bis hin zum Rohstoffexport mußten so gut wie alle Lebensbereiche von Privatunternehmern, Kirchen oder Selbsthilfegruppen organisiert werden. Die AFDL nennt in ihrem „Minimalprogramm“ folgende Kritikpunkte am Zustand des Landes: „Verrottung des Staates“, „alle Arten von Spaltungen, Tribalismus und Regionalismus“, „Vernichtung der nationalen Armee“, „politisches Chaos“ und „Verelendung der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung“.

Um das zu ändern, betonen AFDL-Kader gern die Notwendigkeit einer „Umerziehung“ der Bevölkerung. „Wir müssen die Ideologie des Bösen verjagen, um sie durch eine neue demokratische Ideologie zu ersetzen“, heißt es in einem Papier einer AFDL-nahen „Befreiungskampagne“ im Osten Zaires. Mit „Ideologieschulungen“ versucht die AFDL, der Bevölkerung ihre Vision eines sauberen, effizienten und moralischen Landes nahezubringen. In vielen Städten wurden die Bewohner von der AFDL nach deren Einmarsch aufgefordert, die Straßen zu reparieren, Müllhaufen zu verbrennen und sogar Blumenrabatte anzulegen. Ein Aushang an der Tür des AFDL-Informationsministeriums im ostzairischen Goma lautet: „Den Mitarbeitern wird bekanntgegeben, daß die Arbeit um 8 Uhr beginnt. Pünktlichkeit und Genauigkeit bei der Arbeit bilden für uns einen erneuten Beweis unseres Veränderungswillens.“

Man kann über solchen Übereifer lästern. Aber man kann auch miterleben, wie alte Frauen, geprägt von der Mobutu-Ära, vor AFDL-Beamtentischen ihre Papiere herüberreichen, sich unterwürfig und voller Angst tief verneigen – und dann völlig verwundert herumgucken, wenn sie merken, daß man ihr Anliegen ernst nimmt und niemand Schmiergeld verlangt oder sie mit Tritten zur Tür hinausbefördert.

Trotzdem ist der Neuaufbau von Staat und Wirtschaft eindeutig prioritär gegenüber demokratischen Spielregeln. Mit der Begründung, es herrsche schließlich Krieg, hat die AFDL in ihren Gebieten die Aktivitäten anderer politischer Parteien untersagt – was Parteiaktivisten in der Praxis dennoch nicht an der Betätigung hindert. Theoretisch steht die AFDL, die aus vier Parteien besteht, laut Statut auch anderen „Parteien und Organisationen der Zivilgesellschaft“ offen. So könnte die neue Staatsmacht nun verlangen, daß alle Welt sich ihr anschließt. Allerdings wäre es erstaunlich, wenn die AFDL versuchen sollte, die im Widerstand gestählten Oppositionsgruppen in Kinshasa zu verbieten, sollten sie sich dem verweigern. Oppositionspolitiker haben bereits verkündet, sie würden ihre Aktivitäten fortführen, egal was die AFDL sagt.

Die Frage des Pluralismus ist auch Streitgegenstand innerhalb der Allianz. Dabei nehmen Vertreter des militärischen Flügels wie die Banyamulenge-Tutsi eine liberalere Position ein als die politischen Kader von Kabilas „Partei der Volksrevolution“ (PRP). AFDL-Justizminister Mwenze von der PRP hat das Parteienverbot für die anvisierten Wahlen und die Zeit danach bekräftigt. Aber AFDL-Außenminister Bizima Karaha, ein Banyamulenge, sagt das Gegenteil. Déogratias Bughera, als Generalsekretär höchstrangiger Tutsi der AFDL, betont in Gesprächen die Notwendigkeit freier Wahlen. Muller Ruhimbika, respektierter Banyamulenge- Menschenrechtsaktivist, sagt: „Man muß eine Allparteienregierung mit allen Bestandteilen des politischen Lebens in Zaire bilden.“ Emile Ilunga, Führer der aus Angola kommenden Katanga- Gendarmen innerhalb der AFDL, sprach sich im taz-Interview letzte Woche ebenfalls für eine „Verständigung“ aller politischen Kräfte des Landes aus.

Ilunga ist Führer einer der vier Gründungsparteien der AFDL, dem „Nationalrat des Widerstandes für die Demokratie“. Sein Vorgänger war André Kisase Ngandu, einst in Berlin lebender Exilzairer und zu den Anfangszeiten der AFDL ihr wichtigster öffentlicher Vertreter. Kisase verschwand am Jahresende 1996 von der politischen Bühne, und seine Partei ist überzeugt davon, daß Kabila ihn hat liquidieren lassen, um einen Rivalen aus dem Weg zu räumen. Auf Befehl Kabilas soll Kisase am 6. Januar 1997 auf einer Landstraße von Banyamulenge-Soldaten erschossen worden sein.

Ob das stimmt oder nicht, die internen Streitereien der AFDL werden nach dem Sieg auch das politische Klima im neuen Staat bestimmen. Banyamulenge-Politiker fürchten eine Übermacht Kabilas. Politiker aus Kabilas Heimatprovinz Shaba fürchten eine militärische Dominanz der Banyamulenge. Es soll bereits ethnische Spannungen in der AFDL-Armee geben. Und in dieser Situation hofft die zivile Opposition in Kinshasa, einen Zipfel der Macht zu erhaschen – von des siegreichen Kabilas Gnaden. Dominic Johnson