Kredit nur noch an der Theke

In der Umweltbibliothek im Prenzlauer Berg gehen Ende des Jahres die Lichter aus, wenn die AktivistInnen dann keine neuen Geldquellen gefunden haben  ■ Von Christoph Dowe

Vor 89 war das noch eine klare Sache: Die Umweltbibliothek im Prenzlauer Berg gehörte zur Avantgarde der Opposition. Die MitarbeiterInnen der Zeitschrift Umweltblätter, die heute telegraph heißt, tasteten Spielräume und Grenzen ab, um das System zu wandeln. Die AktivistInnen sind überzeugt, daß sie so zur Wende beigetragen haben.

Heute wird die Umweltbibliothek behandelt wie ein Relikt aus längst vergessenen Zeiten. Sie hat 20.000 Mark Schulden angehäuft – nicht viel, scheint es, doch genug, um die Existenz der Einrichtung mit Bibliothek, Kneipe, Versammlungsräumen und Büro zu gefährden. Hier findet nach wie vor die politische Arbeit statt: KdV-Beratung, Sektenberatung, Stadtteilarbeit. In der Bibliothek werden Papiere über die Arbeit ökologischer Gruppen ebenso archiviert wie über den Chiapas-Konflikt. In der Schliemannstraße ist man nun besorgt.

Mit den Schulden kommt auch die Erkenntnis, endlich auf dem harten Boden der bundesrepublikanischen Realität angekommen zu sein. Bitt- und Bettelbriefe müssen nun geschrieben werden, an Jan Phillip Reemtsma zum Beispiel oder an Wolfgang Thierse. Selbst die politischen Gegner in der PDS wurden um Hilfe aus der Not gebeten. Das geschieht nicht ohne Reibungen. Die Anbiederung und die geforderte übertriebene Selbstdarstellung „kotzen mich an“, entfährt es Wolfgang Rüddenklau, der seit Jahren seinen Lebensmittelpunkt in den Räumen der Umweltbibliothek hat. Dabei hatte Wolfgang Thierse nur eine kurze Beschreibung der Arbeit der Umweltbibliothek gefordert, um besser mitbetteln zu können. Als ein „Beispiel authentischer Opposition“ beschreibt der SPD-Vize, Wahlkreis Prenzlauer Berg, die Arbeit der Bibliothek. „Die erhalten ihren Status nicht durch einen Aufnahmeantrag in die CDU.“ Thierse will helfen, wenn die Leute aus der Schliemannstraße die Vorlagen für eine Selbstpräsentation liefern. „Um des Pluralismus willen ist es notwendig, daß die Gruppe erhalten bleibt“, meint Thierse und erinnert an Vereine, die von der CDU gehätschelt und getätschelt werden und keine Geldsorgen haben müssen. „In der Schliemannstraße ist gute Arbeit gemacht worden.“ Der SPDler spricht in der Vergangenheitsform, ohne es zu merken.

„Die Presse interessiert sich nur für uns, weil wir diesen Status der bekannten Oppositionellen haben“, giftet Rüddenklau. „Schau dich doch um in Ostdeutschland: Alle Vereine, die so arbeiten wie wir, stecken in der Krise. Nur daß die noch nicht mal in die Zeitung kommen, wenn sie es drauf anlegen.“ Rüddenklau läßt sich noch ein Bier bei Angela Stiebritz anschreiben, die heute Thekendienst hat und auch sonst für die Finanzen zuständig ist. „Das ist doch alles Scheiße“, murmelt Rüddenklau durch seinen voluminösen Bart.

Vor einem halben Jahr erst feierte die Umweltbibliothek ihr zehnjähriges Bestehen. Pressetamtam war ihr sicher, alle würdigten die Verdienste der RegimegegnerInnen. Doch kurz darauf schlitterte man an den Rand des finanziellen Abgrunds. „Bis letztes Jahr hatten wir noch fünf ABM-Stellen. Jetzt nur noch drei, und die laufen am Ende des Jahres aus“, erzählt Finanzfrau Angela. „Wolfgang ist freiwillig ausgeschieden, weil er das höchste Arbeitslosengeld von uns allen bekommt.“ Ehrenamtlich arbeitet er natürlich weiter. Sicher nicht viel weniger als vorher. Mit zwei Mieten steht man in der Kreide, außerdem bekommt die Druckerei des telegraph noch 10.000 Mark. Mit den Stromschulden zusammen sind das 20.000 Mark. „Wir sind absolut pleite“, faßt Micha Baehr zusammen.

Die Schuld dafür? „Zuviel Verlaß auf die Weiterführung der ABM-Stellen“, glaubt Micha. „Wir werden von den Behörden abgewickelt“, glaubt Angela. „Die Vereine im Osten haben einfach nicht die Regelfinanzierung, die sie bräuchten“, glaubt Rüddenklau. Auf einer Klausurtagung im Juni soll die Entscheidung fallen, ob die Arbeit weitergeführt werden soll.

Die Umweltbibliothek ist kein Einzelfall. Viele Selbsthilfeprojekte, vor allem im Osten, stehen heute vor dem Ruin. „Überall da, wo ABM-Stellen die Arbeit aufrecht erhalten, gibt es große Schwierigkeiten“, berichtet auch Karin Stötzner, Leiterin der Selbsthilfe – Kontakt- und Informationsstelle (SEKIS). „Senat und Bezirke tun sich unglaublich schwer, solche Stellen in eine Regelfinanzierung zu überführen. Es fehlt eindeutig ein Gesamtkonzept“, ist ihr Fazit. Ostdeutsche Gruppen haben es besonders schwer, denn hier verließ man sich besonders stark auf die ABM-Stellen. Im Gegensatz zu ihren Pendants im Westen können sie außerdem nur in den seltensten Fällen auf gewachsene Förderstrukturen und große Freundeskreise zurückgreifen. Dazu kommt sicher der fehlende Blick für den neuen Zwang zur Selbstpräsentation.

Für den Oppositionellen Rüddenklau überwiegt das Gefühl, daß die Geschichte ihnen das Recht auf Existenz für immerdar einräumt. „Fundraising“, das sei ein abstoßendes Wort. Man spürt Bitterkeit, daß nun die Geschichte über die Aufrechten von damals so gnadenlos hinwegzufegen droht. „Mach dir nicht soviel vor“, fährt ihn sein Mitstreiter Micha mit einer Heftigkeit ins Wort, die nur langjährige Vertrautheit erlaubt.