■ Afghanistan: Dostums Freunde wechseln zu den Taliban
: Wende im Teufelskreis

Die Machtfrage in Afghanistan wird nicht durch militärische Siege einer Seite über eine andere entschieden. Im undurchdringlichen Dschungel der Fraktionen, „Parteien“ und Allianzen herrscht ein permanentes Patt, das nur dadurch zeitweilig durchbrochen wird, daß einzelne Warlords die Fronten wechseln. Damit kommt Bewegung in den Teufelskreis des Krieges, aber durchbrochen wird er dadurch nicht.

So geschehen in den letzten Tagen: Wichtige Unterführer des starken Mannes im Norden – General Abdurraschid Dostum – wie dessen Vize Malik Pahlawan sagten sich von diesem los, brachen mehrere Provinzen aus dessen Einflußbereich und schlugen sich mit dieser Mitgift auf die Seite der Taliban, jener neuen, kaum einzuordnenden Bewegung, die seit Ende 1994 etwa drei Viertel des Landes unter Kontrolle nahm.

Den Taliban gelang damit der Übergang über die natürliche Barriere Nord-Afghanistans, das Hindukusch-Gebirge, ohne daß sie selbst einen Schuß abfeuern oder etwas anderes dafür tun mußten. Höchstens, daß sie mit Geld die Entscheidungsfindung Pahlawans etwas beschleunigten. Noch etwas anderes zeigt diese jüngste Wendung: Der afghanische Krieg ist kein ethnischer Krieg zwischen „paschtunischen Taliban“ und den „ethnischen Minderheiten“. Der Usbeke Pahlawan steht nun im Lager der „Paschtunen“, und nicht „Blut“ ist der Beweggrund, sondern politischer Überlebenswille. Für ihn ist wichtig, auf der stärkeren Seite zu stehen, nicht Stammeszugehörigkeit zu kultivieren.

Schließlich: Ein Auseinanderbrechen wie jetzt im Dostum-Lager kann sich jederzeit auch bei den Taliban ereignen. Längst sind sie keine homogene Bewegung mehr – falls sie es jemals waren. Übergelaufene Ex-Mudschaheddin, und nun Dostum-Dissidenten, haben ihre quantitative Kampfkraft anwachsen lassen, aber auch alle Konflikte zwischen alten Mudschaheddin-Fraktionen in ihre Reihen mitgebracht. Diese Konfliktlinien werden spätestens aufbrechen, wenn die Taliban Nord-Afghanistan und damit das ganze Land kontrollieren.

So wäre das Ende Dostums der Anfang von ihrem eigenen Ende. Denn ein Pahlawan findet sich immer. Thomas Ruttig