Der Postbote als Götterbote

■ Johann Kresniks Pasolini-Bearbeitung Gastmahl der Liebe plakatiert im Deutschen Schauspielhaus Mysthik, Religion und Gesellschaftskritik

Die Himmelspforte befindet sich mitten im Parkett. Dort sitzt der Pianist Claudio Frassetto. Er trägt zarte Flügelchen auf dem Rücken und hält sich an den Tasten fest – gerade so, als ob er fürchtete, irgendwann doch noch den langen, schmalen Steg heruntergeschickt zu werden, was er sicher nicht will. Denn unten, auf der Bühne, ist die Hölle: das Leben.

Das Leben teilt sich in das Leben der Reichen und das Leben der Armen. Die Reichen vegetieren auf Barhockern, die Armen buckeln mit Spülhandschuhen am Boden. Dazu ertönt, qualvoll verzogen, Vivaldi vom Band. Zum Leben gehört aber auch eine gelbe Lacktasche mit einem roten Emblem: Hammer und Sichel, denen wie Hörner stilisierte Flügel aufsitzen. Fröhlich trillernd rast der Post- und Götterbote (Marcelo Omine) mit dieser Tasche über den Himmelssteg hinab ins Lemurenreich und bringt einen Brief, der Gutes und Schreckliches verheißt: Ein Gast kommt.

Der 57jährige Choreograph Johann Kresnik hat ein Gastmahl der Liebe inszeniert, nach Pasolinis Film und Roman Teorema von 1968. Premiere war Ende Februar an der Berliner Volksbühne, jetzt gastiert die Produktion im Schauspielhaus. Wie immer bei Kresnik ist alles sehr deutlich. Himmel und Erde, Reich und Arm sind genau getrennt, das Mystisch-Religiöse und die Gesellschaftskritik kommen in plakativen Bildern vorbei.

In Teorema bringt die Ankunft eines gottähnlichen Jünglings eine Fabrikantenfamilie aus dem Lot. Alle erkennen in seiner Umarmung wie leer ihr Leben bisher war und kommen nach seiner Abreise mit den alten Rollen nicht mehr klar. Der Wahnsinn winkt. Einzig das bäuerliche Dienstmädchen verkraftet die Erfahrung als religiöse Erleuchtung.

Kresniks „Gast“ist Daniel Chait. Seine Füße mit den schwarz lackierten Nägeln schlängeln in der Luft wie Tempeltänzer in eigenem Auftrag, und auch zwei weitere Figuren des Zwischenreichs, Gabriel und Luzifer, zielen in ihrer Bewegungssprache aufs Archetypische. Dazwischen die Initiationserlebnisse der Familie. Einen schönen Effekt macht ein großer Spiegel, den Penelope Wehrli über der sonst leeren Bühne herabgelassen hat, und er das bewußte Leben der Familie vom Unbewußten trennt (alle treten doppelt auf). In seinen Drehungen wirken die Liebesspiele mit dem Gast wie von einer Kamera umkreist.

Ruhiger als sonst bei Kresnik geht es zu, manchmal sogar witzig, letztlich aber ist alles furchtbar pathetisch. Münder werden rot verschmiert, Brüste entblößt, Toupets heruntergerissen, rohe Eier zerbissen, Äpfel geklaut, gespuckt und im Dutzend an die Wände geknallt – tanz den Pasolini! Dabei ist Müßiggang schon lange kein Privileg der Reichen mehr, im Gegenteil, und die Suche nach dem wahren Selbst führt nicht in die Wüste, sondern ist ein Breitensport.

„Beklemmend ist's, von verbrauchter Liebe zu leben“, steht über der Bühne, ein Pasolini-Zitat. Beklemmend auch, überholte Erkenntnisse mit soviel Verve beschworen zu sehen.

Petra Kohse

Gastspiel: Sa/So, 24./25. Mai, 20 Uhr, Deutsches Schauspielhaus