Ägyptens Mutter

■ Zwischen Orient und Okzident: Das Haus der Kulturen der Welt zeigt einen Monat lang den "Neuen arabischen Film"

„Die Sängerin Umm Kulthum hatte die Musikalität einer Ella Fitzgerald, die öffentliche Präsenz einer Eleanor Roosevelt und ein Publikum so zahlreich wie Elvis Presley“ – heißt es im Programmheft des Hauses der Kulturen der Welt über Michael Goldmanns Film „Umm („Mutter“) Kulthum, a Voice of Egypt“, der mit neun anderen in der Reihe „Neuer arabischer Film“ vom 23. Mai bis 25. Juni im HKW gezeigt wird. Dabei handelt es sich um eine Auswahl aus dem Programm der Filmfestspiele 1996 im tunesischen Karthago. Die „Journées Cinématographiques de Carthage“ finden seit fast 40 Jahren statt und sind neben dem Internationalen Filmfestival in Kairo die bedeutendste Plattform für den arabischen Film geworden. In zweijährigem Rhythmus wechseln sie sich ab mit dem FESPACO-Festival von Ouagadougou (Burkina Faso), dem anderen großen Filmevent Afrikas.

Fast so alt wie die Erfindung des Kinos

Tatsächlich ist der arabische Film fast so alt wie die Erfindung des Kinos. Bereits in den zwanziger und dreißiger Jahren experimentierten in Ägypten risikofreudige Produzenten, Regisseure und Schauspieler – darunter zahlreiche Frauen – mit dem neuen Medium Film. „Ein Künstler, der sich für sein Publikum verbrennt, erleuchtet den Menschen wie das Kerzenlicht“, war damals in ägyptischen Künstlerkreisen eine stehende Redewendung. Leider honorierte das Publikum diese wohlmeinende Einstellung nicht: Die KünstlerInnen in der Unterhaltungsbranche waren in der arabischen Gesellschaft dieser Zeit wenig geachtet.

Erst in den sechziger und siebziger Jahren erlangte der Film Anerkennung als ernstzunehmende Kunstform. Aus den Erfahrungen der damaligen politischen Umwälzungen entwickelte sich das „neue arabische Kino“: Realismus, Sozialkritik und eine kritische Geschichtsschreibung lösten das seichte Entertainment der fünfziger Jahre ab. Experimentelle Kunst- und Autorenfilme entstanden, Frauen etablierten sich als Filmemacherinnen. Da jedoch in den meisten arabischen Ländern die Infrastruktur fehlte, um anspruchsvolle Filmprojekte zu verwirklichen, gingen viele RegisseurInnen ins (meist westliche) Ausland.

Diese Situation hat sich erst in den letzten Jahren etwas entschärft: Tunesien hat seine Filmförderung angekurbelt und zum Beispiel den international preisgekrönten Film „Die Stille der Paläste“ (1994) koproduziert, im Libanon sind nach Beendigung des Bürgerkriegs zwei Filmhochschulen gegründet worden. Die meisten Spielfilme entstehen jedoch nach wie vor in Kooperation mit westlichen Ländern.

Der neue arabische Film in den neunziger Jahren – wie ihn die Reihe im HKW vorstellt – ist geprägt durch den Autorenfilm. Den FilmemacherInnen geht es nicht mehr um globale politische Botschaften und scheinbar objektive Analysen, sie streben statt dessen radikal nach einem persönlichen Ausdruck, auf inhaltlicher wie auch ästhetischer Ebene. Ein immer wiederkehrendes Thema ist die Auseinandersetzung mit den kulturellen und historischen Wirzeln und der Konflikt mit dem modernen Lebensumfeld. Viele FilmemacherInnen leben und arbeiten zwischen den Kulturen, so daß sich auch ihre Filme nicht so einfach in Kategorien von „westlich/ östlich“ oder „traditionell/modern“ einordnen lassen.

Von besonderer Aktualität ist der Film „Haifa“ des 35jährigen Palästinensers Rashid Masharawi: Er läßt uns durch die Augen von Haifa, der in einem palästinensischen Flüchtlingslager lebt, die Gefühle, Charaktere und Hoffnungen der Menschen im Camp erleben. In ihrer Ambivalenz spiegelt sich die Haltung der PalästinenserInnen – und des Regisseurs selbst – gegenüber dem Friedensprozeß mit Israel.

Zu den „alten Hasen“ des arabischen Kinos gehört der Algerier Merzak Allouache (u.a. „Omar Gatlato“, 1978; „Bab El Oud- City“, 1984). Seine neue Komödie, „Salut Cousin“, beschreibt teils mit rabenschwarzem Humor die Versuche eines Neueinwanderers, sich in der schnellebigen Metropole Paris einzugewöhnen.

Das Leben und die Männer meistern

Humor und Ironie prägen auch die beiden tunesischen Filme „Un été à La Goulette“ (Ein Sommer in La Goulette) von Férid Boughedir und „Essaida“ von Mohammed Zran. Schwerblütiger sind die „ägyptischen“ Beiträge: „Nasser 56“ von Mohamed Fadel berichtet über die 100 Tage, die der Entscheidung zur Nationalisierung des Suezkanals vorausgingen. Der Film wurde in Ägypten zum Kassenschlager. „Miel et Cendres“ (Honig und Asche) der ägyptisch- schweizerischen Filmemacherin Nadia Fares ist eine Geschichte von drei Frauen aus Tunesien. Eingezwängt zwischen Tradition und Moderne, versuchen sie, ihr Leben und ihre Beziehungen zu Männern zu meistern. Der Film erhielt mehrere internationale Auszeichnungen, u.a. in Saarbrücken den Max- Ophüls-Preis.

Zum Eröffnungswochenende vom 23. bis 25. Mai werden die Regisseure Merzak Allouache, Férid Boughedir und Rashid Masharawi erwartet wie auch der Produzent und Direktor der „Journées Cinématographiques de Carthage“, Abdellatif Ben Ammar. Nach den Filmvorführungen ist Gelegenheit zu Gesprächen mit den Regisseuren und am 25. Mai um 18 Uhr zu einer Podiumsdiskussion, moderiert von dem Filmwissenschaftler Pierre Haffner. Die Filme laufen in der Originalfassung mit Untertiteln – „La Vie, ma Passion“ wird deutsch eingesprochen – und werden im Juni wiederholt. Rebecca Hillauer

Haus der Kulturen der Welt, bis 25.6., Termine siehe cinema-taz