Parlament berät über direkte Demokratie

■ In der Landesverfassung sind Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid vorgesehen. Der Rechtsausschuß berät heute über die gesetzliche Umsetzung

Berlin rückt der direkten Demokratie ein Stück näher, darauf haben sich die Fraktionen im Abgeordnetenhaus längst in harten Auseinandersetzungen verständigt. Nur wie nah und auf welchem Weg, an diesen Fragen scheiden sich die Geister.

Heute beginnt der Rechtsausschuß des Abgeordnetenhauses mit den Beratungen über ein Gesetz zu Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid. Grundlage der Diskussion ist ein Gesetzentwurf des Senats, der allerdings von einem Gegenantrag der Bündnisgrünen und von erheblichen Einwänden des Datenschutzbeauftragten begleitet wird.

In der neuen Landesverfassung, die am 22. Oktober 1995 in einer Volksabstimmung angenommen wurde, ist in den Artikeln 61 bis 63 die Möglichkeit der drei Formen direkter Demokratie verankert. Mit einer Volksinitiative (90.000 Unterschriften) können BerlinerInnen das Parlament verpflichten, ein bestimmtes Thema im Abgeordnetenhaus zu behandeln. Die Volksinitiative ist ein einstufiger Prozeß: Mit der Parlamentsdebatte ist die Angelegenheit erledigt. Zweistufig greifen Volksbegehren und Volksinitiative ineinander: Für ein Volksbegehren müssen 10 Prozent der Wahlberechtigten ihre Unterschrift geben, um eine Abstimmung über ein Gesetz zu erwirken. War das Volksbegehren erfolgreich, gibt es einen Volksentscheid. Das Gesetz wird dann erlassen, wenn sich mindestens die Hälfte der Wahlberechtigten an der Abstimmung beteiligt und eine einfache Mehrheit für den Gesetzentwurf erreicht wird. Bei geringerer Beteiligung muß mindestens ein Drittel der Wahlberechtigten für einen Gesetzentwurf stimmen. Diese verfassungsmäßigen Rechte müssen jetzt endlich in Gesetzesform gegossen werden.

Die Federführung beim Entwurf des Senats hatte Innensenator Jörg Schönbohm (CDU). In seinem Entwurf koordiniert und kontrolliert die Innenverwaltung den Ablauf von Volksbegehren und bei erfolgreichen Begehren den folgenden Volkssentscheid. Bei der Senatsverwaltung für Inneres muß der Antrag auf ein Volksbegehren eingehen, sie prüft die Zulässigkeit und gibt die gesammelten Unterschriften zur Prüfung an die Bezirksämter weiter.

Dagegen setzen die Bündnisgrünen ihren Gesetzentwurf, in dem die zentralen Aufgaben bei dem oder der LandeswahlleiterIn liegen; diese kooperieren mit den Bezirken. Im Unterschied zu den Plänen des Senats sehen die Bündnisgrünen für das Volksbegehren keine ausgelegten Eintragungsscheine bei amtlichen Stellen vor, sondern setzen auf das freie Sammeln von UnterstützerInnenunterschriften.

Auch die Gestaltung der Gesetzentwürfe unterscheidet sich grundlegend. Der Entwurf der Innenverwaltung zeichnet sich durch eine bürokratisch korrekte Sprache aus, während der bündnisgrüne Entwurf auch für die verständlich ist, die die Mittel der direkten Demokratie anwenden sollen, die BürgerInnen. Renate Künast, justizpolitische Sprecherin der Grünen, bezeichnet den Entwurf der Innenverwaltung aufgrund der Sprachhürde und der Stellung der Innenverwaltung als „Volksentscheidverhinderungsgesetz“.

Einwände zum geplanten Gesetz kommen aber nicht nur von den Bündnisgrünen. In einer Stellungnahme hatte der Datenschutzbeauftragte Hansjürgen Garstka wesentliche Punkte des Entwurfs der Innenverwaltung moniert. Diese Stellungnahme sei, so schreibt der Datenschutzbeauftragte nun, nicht berücksichtigt worden. Die Datenschützer bitten jetzt den federführend beratenden Rechtsausschuß, ihre Einwände zu berücksichtigen. Problematisch, so Datenschutzmitarbeiter Detlef Schmidt, sei vor allem die geplante Änderung des Meldegesetzes. „Wir haben gegen die pauschale Aufhebung der an der Zuständigkeit der Meldestellen orientierten Zugriffsbeschränkungen erhebliche Bedenken“, heißt es in seiner Stellungnahme. Neben dem erweiterten Zugriff auf Meldedaten von Bürgern kritisiert der Datenschützer, daß die Meldebehörden mit dem Gesetz Daten über politische Aktivität speichern dürften. Diese Daten hätten im Melderegister nichts verloren.

Eine weitere Stellungnahme zum Gesetzgebungsverfahren hat die Bürgeraktion „Mehr Demokratie“ den Abgeordneten im Rechtsausschuß vorgelegt. In ihrer Stellungnahme fordern die InitiatorInnen, die Unterschriftenleistung für ein Volksbegehren sowohl in Bezirksämtern wie auf der Straße zu ermöglichen. Der Regierungsentwurf sieht nur die Amtsstuben dafür vor, die Bündnisgrünen schlagen die freie Sammlung vor. Da außerdem im vorliegenden Entwurf Stimmenthaltungen wie Neinstimmen gewertet würden, befürchtet Kurt Wilhelmy von „Mehr Demokratie“ eine Blockadepolitik von seiten der Gegner eines Volksentscheids. Wilhelmy schlägt deshalb vor, daß vor einem Volksentscheid an alle Haushalte ein Abstimmungsbüchlein verteilt wird. Wie in der Schweiz sollen darin die jeweiligen Pro- und Contra-Argumente aufgeführt sein.

Nachdem sich die VertreterInnen der vier Fraktionen Demokratie schon am Dienstag abend zu einer Podiumsdiskussion mit der Initiative „Mehr Demokratie“ trafen, beginnen heute die Ausschußberatungen. Die parlamentarische Abstimmung im Plenum ist für den 29. Mai oder den Juni vorgesehen. Barbara Junge