Wer bezahlt, sendet

■ Microsoft stellt die neuste Version seines Internetbrowsers vor - nur Fernsehen und Windows 95 sind schöner

Hotwired ließ die Schamgrenze fallen. Seit neustem prangt auf der Mutter aller Homepages (www.hotwired.com) ein Werbefeld, das mit einem Mausklick den Weg frei macht zum Sonderangebot der neuen, hemmungslosen Art. Der Verlag verlost ein Halbjahresabonnement der gedruckten Wired unter denjenigen, die von ebendieser Hotwired-Site aus den Internetexplorer von Microsoft auf ihre Festplatte laden.

Es handelt sich noch um die Version 3.0. Der Browser ist ins Gerede gekommen, seit alle paar Wochen eine neue Sicherheitslücke entdeckt wurde. Seine Anwender leben gefährlich, denn das Programm erlaubt grundsätzlich, von außen über das Internet auf jeden Rechner zuzugreifen, auf dem es installiert ist. Auch Hotwired hat darüber berichtet, doch mit dem Werbedeal auf der Homepage liegen noch ein paar Ideale der Internetpioniere auf dem Ramschtisch. Zum Beispiel das Ideal der „offenen Standards“. Das Internet konnte nur zum universalsten aller Netzwerke werden, weil seine Software nicht an bestimmmte Rechnerkonfigurationen gebunden ist. Natürlich ist dieser Anspruch nie in vollem Umfang erfüllt worden, doch gerade Hotwired kam immer wieder darauf zurück. Seine kleinen Lehrstücke zur Einführung in den HTML-Programmcode etwa standen stets unter der Generalvorschrift: „Denke daran, daß der andere Rechner anders ist!“

Vorbei. Standards sind heute auch im Internet eine Folge wirtschaftlicher Definitionsmacht, sie werden von Firmen wie Netscape und in zunehmendem Ausmaß von Microsoft festgesetzt, dem Giganten, der noch vor zwei Jahren kein einziges netztaugliches Programm anzubieten hatte. Immer auf der Höhe der Zeit, sah jetzt offenbar auch der Wired-Verlag keinen Grund mehr, einen Exklusivvertrag mit Microsoft abzulehnen.

Vor einem Jahr hatte das renommierte Wall Street Journal einen ähnlichen Pakt mit Bill Gates geschlossen. Wer die (damalige) Version des Microsoft-Explorers auf seinem Computer installierte, durfte ein volles Jahr die sonst gebührenpflichtigen Online-Ausgaben des Wall Street Journal lesen. Die Redaktion der Zeitung sah sich damals veranlaßt, mit ihren Lesern in einem eigens dafür eingerichteten Online-Forum über dieses Geschäft zu diskutieren. Es hagelte Kritik, nicht an den Programmen, sondern an der Vormacht von Microsoft.

Auf Auseinandersetzungen mit seinen mehrheitlich nicht weniger neoliberal und martkwirtschaftlich gesinnten Techno-Lesern läßt sich Hotwired gar nicht erst ein. Lediglich in den kleingedruckten Teilnahmebedingungen für das Preisausschreiben läßt die Redaktion durchblicken, daß der Miocrosoft- Browser nur geladen, nicht aber auch eingesetzt werden muß. Prinzipiell sei es sogar möglich, per Brief an Microsoft an der Verlosung teilzunehmen. Niemand wird das tun, die Resonanz sei enorm, schreibt Hotwired, und die neuen Kunden von Microsfoft dürfen sich jetzt guten Gewissens auf die Avantgarde des Netzes berufen.

Bis zum nächsten Absturz jedenfalls. Anfang der Woche ist in München auch für Deutschland die nächste Version des Microsoft- Browsers vorgestellt worden. Wenn zutrifft, was die Firmensprecher ankündigen, stehen gleich zwei Prinzipien des Internets zur Disposition: die sogenannte Plattformunabhängigkeit und das, was als „Informationsautonomie“ beschrieben werden könnte. Der neue Explorer wird mit dem Betriebssystem Windows (95 oder NT) verschmelzen; Internetadressen sind unmittelbar von der sogenannten Desktop-Oberfläche aus anwählbar – falls sie noch angewählt werden. Denn noch wichtiger findet Microsoft selbst, daß das gar nicht mehr nötig ist. Der Browser öffnet von vornherein sogenannte Kanäle. Das sind Webadressen, die abonniert werden können und automatisch, ohne Anfrage des Benutztes, ihr Angebot auf die Festplatte schicken. „Das geht in Richtung Fernsehen“, gab der Microsoft-Manager Wolfgang Schneider freimütig zu, „bewahrt aber die Einzigartigkeit des Mediums Internet“.

Schneider muß es besser wissen. Seine Firma bietet bereits Kurse für das neue System an. Nicht die nur noch konsumierenden Klienten, sondern die kommerziellen Betreiber der Server am anderen Ende der Leitung müssen jetzt unter Microsofts Anführung lernen, das Internet als reinen Sendekanal zu benutzen. Und was Hotwired angeht: Auch diese Entwicklung ist dort längst beschrieben worden, bisher allerdings als Gefahr für das Netz, nicht als eigene Einnahmequelle. Niklaus Hablützel

niklaus@taz.de