■ Gespräch mit Daniel Cohn-Bendit über die französische KP, Jospins Europapolitik und den Neoliberalismus
: „Ohne Euro kommt die DM-Zone“

taz: Staatspräsident Chirac hat die Parlamentswahlen vorgezogen, um ein eindeutiges Votum für seinen Pro-Euro-Kurs zu bekommen. Stand der Euro auch im Zentrum des Wahlkampfes?

Daniel Cohn-Bendit: Nein. Chirac braucht die Wahlen jetzt, weil seine Chancen im nächsten Jahr, wenn es bei der Konstituierung des Euro Turbulenzen gibt, schlechter wären. Gleichzeitig weigert er sich, ein Wort zu Europa zu sagen. Und auch im Wahlkampf ging es nur am Rande um Europa.

Auch bei der Linken?

Ja, die Linke ist, genauso wie die Rechte, gespalten. Die europafreundlichen Kräfte im Regierungslager und in der Linken wissen, daß sie mit dem Thema stets die linken und rechten Euro- Feinde gegen sich mobilisieren – also immer auch das eigene Lager.

Der Widerstand gegen Maastricht speist sich aus zwei Motiven: dem sozialen, daß so ein neoliberales Europa entsteht, und dem nationalistischen. Welches Motiv hat die französische Linke?

Ein nationalistisches im sozialen Gewand. Chevènement [Chef des Euro-feindlichen „Mouvement du citoyen“; d. Red.] hat ja z.B. Chiracs Atomtests unterstützt. Die KPF verteidigt die französische Atomindustrie, die zivile und die militärische. Diese Kräfte wehren sich auch gegen jede Souveränitätsübertragung von der nationalen auf die europäische Ebene.

Emmanuel Todd und andere Intellektuelle unterstützen die KPF, weil sich die Partei nun endlich entstalinisiert hat. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ja, ja, okay. Die KP verkörpert aber einen traditionalistischen Flügel, den es auch in der SPD gibt. Wenn die Sozialisten vorschlagen, 700.000 Arbeitsplätze für Jugendliche zu schaffen, sagt die KP: Wir wollen 1,5 Millionen. Deshalb ist es falsch, sie zu unterstützen. Für die KPF ist staatliche Intervention noch immer die Ultima ratio. Und das ist eine falsche Antwort auf den Neoliberalismus...

...und was wäre die richtige?

Der Staat muß den Rahmen schaffen, in dem sich die Marktkräfte sozial eingebunden entwickeln. Rocard [der frühere sozialistische Premier; d. Red.] hat ein interessantes Modell vorgeschlagen. Danach sollen die Sozialabgaben für dreißig Stunden Wochenarbeit um ein Drittel reduziert werden, für längere Wochenarbeitszeiten um ein Drittel erhöht werden. So schafft man einen marktwirtschaftlichen Zwang zur Arbeitszeitverkürzung. Das ist intelligenter als alles, was von der KPF kommt.

Fand dieser Vorschlag eine Lobby?

Eine schwache. Jospin hat das aus taktischen Gründen nicht im Programm aufgegriffen. Das Problem ist, daß die Sozialisten nun mit dem Versprechen Wahlkampf machen, die 35-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich durchzusetzen. Das glaubt ihnen nicht einmal ihre eigene Klientel. Im Grunde verhindern solche Verheißungen einen linken Sieg.

Wenn man sich die deutsche und die französische Debatte um den Euro anschaut, ergibt sich ein spiegelverkehrtes Bild. In Frankreich ist die politische Klasse, links wie rechts, heftig gespalten, aber das Volk eher Euro-freundlich. In Deutschland ist das Volk überwiegend gegen den Euro, die politische Klasse hingegen geschlossen dafür. Warum?

Der springende Punkt ist: In Frankreich spricht sich langsam herum, daß die Bundesbank gegen den Euro war und Mitterrand den Euro von Kohl erzwungen hat – als Preis für das Ja aus Paris zur deutschen Vereinigung. Langsam begreift man: Die Alternative zum Euro ist eine erweiterte D-Mark- Zone. Deshalb sind die Franzosen, vielleicht eher gefühlsmäßig, für den Euro. In Deutschland ist die Lage umgekehrt: Die deutsche Mehrheit ist gegen den Euro, weil sie genau diese D-Mark-Zone will. Das heißt: Wenn der Euro nicht kommt, ist das objektiv eine Stärkung des deutschen Nationalismus. Und deshalb sind in Deutschland alle, die die Lehren aus der Nazi-Geschichte gezogen haben, für den Euro – sogar Jürgen Trittin. Denn kein Euro bedeutet eine Stärkung der D-Mark-Zone, die nach Osten expandieren wird.

Chevènement hat Sie kürzlich als den „Telegrammburschen von Tietmeyer“ bezeichnet.

Ja, als Handlanger des Großkapitals. Für solche Polemik gibt es, vor allem bei den Älteren, noch einen Resonanzboden, weil sie gegen alles sind, was irgendwie nach deutscher Vorherrschaft aussieht. Wie empfindlich man in Italien und Frankreich auf solche Dinge reagiert, das hat vor allem Helmut Schmidt verstanden – und Tietmeyer und Waigel eben leider nicht. So hat Waigels auftrumpfende Pseudorigidität bei den Konvergenzkriterien, bei der Politik durch Zahlenfetischismus ersetzt wurde, die Euro-Müdigkeit ja erst erzeugt. Denn die Rhetorik der Konvergenzzahlen vermittelt: Leute, da kommt etwas auf euch zu, auf das ihr keinen Einfluß habt.

Bei Tietmeyer hat das durchaus Methode: Er will nämlich den Euro nicht, sondern die D-Mark- Vorherrschaft. Aber das wird Chevènement niemals begreifen.

Zur Wahl: Wenn Jospin gewinnen würde, wäre er in heikler Lage. Denn er müßte einen Zweifrontenkrieg gegen Chirac und gegen die KPF führen, die von seinem moderaten Ja zum Euro nichts hält.

Er wird eher nicht gewinnen – und zwar wegen seiner unentschlossenen Europapolitik. Um zu gewinnen, müßte er klar sagen, was für ein Europa er will. Alain Minc, ein liberaler Intellektueller, hat gesagt: Ich wähle Juppé – um später Jospin zu wählen. Denn Jospin ist sozial adäquater für Frankreich, aber nicht in der Lage, den europäischen Aufbau in Gang zu setzen. Falls Jospin aber doch gewinnt, kann er eine soziale, demokratische Initiative für Europa realisieren und den Euro darin einbetten. Dabei müßte auch Chirac mitziehen. Und auch die KPF: für den Euro und mehr Soziales. Das wäre ein Deal, der klappen würde.

Schön wär's. Aber offenbar sind die Sozialisten nicht das politische Subjekt, das diese Dynamik in Gang setzt.

Trotzdem – wenn sie gewinnen, werden Sie diese Strategie umsetzen. Der Euro ist kein Schicksal, sondern eine Frage von politischen Mehrheiten. Die Neoliberalen haben es geschafft, den Eindruck zu erwecken, daß Maastricht unverrückbar ihr Projekt ist. Das gilt es zu ändern.

Sie glauben, daß die neoliberale Ära zu Ende geht?

Ja. Das Alte ist noch nicht abgetreten, das Neue noch nicht da. In diesem Vakuum befinden wir uns heute. In Zukunft werden die Mehrheiten andere sein: heute mit Blair, morgen vielleicht mit Jospin, übermorgen mit Schröder und Fischer. Interview: Stefan Reinecke