Ein Päckchen gegen die Krise

Die desolate Wirtschaftslage in Tschechien ist von der Politik verursacht. Sogar die Regierung sieht das ein und will sich notfalls auflösen  ■ Aus Prag Sabine Herre

Wohl selten war eine Regierung williger, ihre Fehler und Versäumnisse in der Wirtschaftspolitik einzugestehen. Was ansonsten mühsame Aufgabe der Opposition ist, übernehmen in Prag Wirtschafts- und Landwirtschaftsminister bereitwillig selbst. Ersterer forderte den Rücktritt der Regierung, letzterer verkündete das Ende der „Epoche des Václav Klaus“. Nach dem ersten Gespräch der drei liberalkonservativen Koalitionsparteien in der vergangenen Nacht sind sie jedoch ohne Ergebnis auseinandergegangen.

Über eine Regierungsumbildung konnten sie sich nicht einigen. Inoffiziell hieß es, daß bis zu sechs der sechzehn Kabinettsmitglieder ausgetauscht werden sollen. Die Bevölkerung will vor allem Finanzminister Ivan Kocarnik und Industrie- und Handelsminister Vladimir Dlouhy nicht mehr auf ihren Posten sehen. Beiden Politikern werden die wirtschaftlichen Probleme des Landes zur Last gelegt.

Sicher, beide Minister gehören nicht der Partei des Regierungschefs an, doch auch in dessen Bürgerlich-Demokratischer Partei (ODS) gibt es inzwischen fast niemanden mehr, der nicht über eine „dringend und so schnell wie möglich durchzuführende Rekonstruktion des tschechischen Kabinetts“ öffentlich nachdenkt. Allein Premier Klaus zeigt sich unberührt. Er könne nicht glauben, was Meinungsumfragen festgestellt haben wollen: daß seine ODS 8 Prozent hinter den Sozialdemokraten liegt, seit den Wahlen vor einem Jahr also von 30 auf 18 Prozent abgesackt ist. Klaus weigert sich, dies zu kommentieren. Schließlich habe er sieben Jahre lang gute Arbeit geleistet.

Sicher: Weltweit konkurrenzlos ist die Arbeitslosenquote von 3,8 Prozent. Zwar stieg sie in den Wintermonaten leicht an, dürfte in diesem Jahr ein wenig höher bleiben. Doch in Prag sind die Zeitungen voll mit Stellenanzeigen. Mit Handzetteln und Plakaten werden überall Verkäuferinnen, Kellner und Putzfrauen gesucht.

Weltweit nur noch von der Slowakei übertroffen wird das Zahlungsbilanzdefizit des Landes. Diese Quote ist die Ursache für die derzeitige Selbstgeißelung der Politiker: Das Defizit erreichte 1996 160 Milliarden Kronen (fast 9,4 Milliarden Mark). Das sind 8,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, der Weltwährungsfonds hält lediglich 3 bis 4 Prozent für volkswirtschaftlich tragbar.

Die Ursachen für das Defizit sind in Prags Supermärkten und den kleinen Lebensmittel- oder Elektrohandlungen in der Provinz nicht zu übersehen. Wella-Haarshampoo und Grundig-Fernseher sind für viele Tschechen attraktiver als die einheimischen Waren. Immerhin gibt es Einfuhrbeschränkungen für Äpfel und Kartoffeln, und selbst den Ausbau ausländischer Supermarktketten will die Regierung regulieren. Verantwortlich für das Defizit sind nicht nur die privaten Verbraucher. Auch die Industrie entscheidet sich bei der Modernisierung der realsozialistischen Anlagen oft für Maschinen aus dem Westen.

Das Handelsbilanzdefizit ist jedoch nur sichtbarer Ausdruck der tschechischen Wirtschaftskrise. Die Probleme sind grundsätzlicher. Obwohl die Privatisierung und damit der wichtigste Schritt des Transformationsprozesses inzwischen weitgehend abgeschlossen ist, kommt die Wirtschaft nicht in Gang. Das Wachstum erreichte im vergangenen Jahr statt der prognostizierten 5 Prozent lediglich 4,4 Prozent. 1995 waren es noch 4,8 Prozent gewesen. Und: In den ersten drei Monaten 1997 wuchs die Wirtschaft zum erstenmal seit 1994 überhaupt nicht mehr. Unternehmen mit ausländischer Beteiligung produzierten zwar 1996 30 Prozent mehr, Tschechen haben sich jedoch nur um 2 Prozent verbessert. Ihre Produktivität wuchs zudem nur um 7 Prozent, während ausländische Firmen sie um mehr als 20 Prozent steigern konnten. Da zugleich die Löhne scheller als die Produktivität stiegen, verringerte sich die Wettbewerbsfähigkeit der tschechischen Unternehmen.

Ihnen fehlt das notwendige Kapital für Investitionen. Denn die Banken sind unter dem Druck der restriktiven Geldpolitik der Nationalbank vorsichtig bei der Vergabe von Krediten. Die tschechischen Unternehmen leben außerdem auf Pump. Bestellte Waren werden zwar geliefert, aber nicht bezahlt. Also hat auch das liefernde Unternehmen keine Mittel, um die bestellten Waren zu bezahlen. Die endlose Verschuldungsschlange führt vor allem kleinere und mittlere Unternehmen in den Konkurs. „Das ganze Land ist zahlungsunfähig“, sagt ein Bankdirektor.

Immerhin haben die Neoliberalen Mitte April ein Maßnahmenpaket beschlossen, das sie als Keynesianer erscheinen läßt. Bislang hatten sie jeden staatlichen Eingriff in die Wirtschaft abgelehnt. Was die sozialdemokratische Opposition seit Jahren fordert, wird nun umgesetzt: Beschränkung der Einfuhr und Förderung der Ausfuhr. Jeder Importeur muß nun 20 Prozent des Wertes der eingeführten Waren bei Banken für sechs Monate deponieren. Die anfallenden Zinsen erhält nicht er, sondern die Exportbank, deren Möglichkeiten der Kreditvergabe an Exporteure auf diese Weise erweitert werden. Dadurch soll das für 1997 erwartete Handelsbilanzdefizit von 220 auf etwa 180 Milliarden Kronen (88 Milliarden Mark) verringert werden.

Zweiter Teil des Päckchens sind Haushaltskürzungen von 25,5 Milliarden Kronen (1,5 Milliarden Mark), das sind 5 Prozent des Gesamthaushalts. Gespart werden soll vor allem bei den Löhnen der Staatsangestellten. Erwartet wird, daß sich dies auf die Privatwirtschaft auswirkt und auch hier die Löhne langsamer wachsen. Vorgesehen sind eine schnellere Privatisierung sowie neue, strengere Regeln für den Finanz- und Kapitalmarkt. Dadurch soll die Wirtschaftskriminalität, die mancher Politiker als Hauptursache für die derzeitige Krise sieht, eingedämmt werden. Gesetze für all diese Maßnahmen müssen die Ministerien in den nächsten Wochen erst noch vorlegen.