Vorhang auf! Der SPD-Kongreß "Innovationen für Deutschland" diente Gerhard Schröder als Bühne zur Selbstdarstellung. Sein Konzept bezieht den Schwung für die Zukunft aus einer modernisierten Variante des Fortschrittsglaubens der 70er Jahre

Vorhang auf! Der SPD-Kongreß „Innovationen für Deutschland“ diente Gerhard Schröder als Bühne zur Selbstdarstellung. Sein Konzept bezieht den Schwung für die Zukunft aus einer modernisierten Variante des Fortschrittsglaubens der 70er Jahre

Risikogesellschaft, ja bitte!

„Wir sind endlich wieder in unserem Element“, versichert Gerhard Schröder den „lieben Genossinnen und Genossen“, doch die sind sich gar nicht so sicher, ob sie sich da wohl fühlen können. Denn was der niedersächsische Ministerpräsident zur Einleitung des Kongresses „Innovationen für Deutschland“ als „vielleicht wichtigstes Signal für unser Land“ aussendet, sorgt in manchem sozialdemokratischen Ohr für Empfangsstörung – und das ist anscheinend so kalkuliert.

„Innovationsfähigkeit und Innovationsgeschwindigkeit sind die Schlüsselelemente einer Modernisierungsstrategie, die als einzige geeignet ist, die Potentiale unserer Volkswirtschaft optimal zu nutzen und internationale Konkurrenzfähigkeit wiederherzustellen“, lautet Schröders Signal. „Nicht überall wo Innovation draufsteht, wird auch über wirkliche Innovation nachgedacht“, kontern sechs Mitglieder des SPD Bundesvorstandes und des Juso-Vorstandes per gemeinsamer Erklärung.

Die SPD will nicht mehr nur den Betriebsrat der Nation spielen, sondern in die Rolle des nationalen Wirtschaftsführers schlüpfen, aus dem Standort einen Standpunkt filtern. Modern soll er sein, sozialdemokratisch ..., nun ja, ist doch dasselbe. Zu diesem Image- und Politikwechsel hat die Parteispitze für zwei Tage Wissenschaft und vor allem Wirtschaft eingeladen und sich Widerspruch aus den eigenen Reihen eingefangen.

Wo Schröder die Chance einer „neuen Interessensallianz zwischen Wirtschaft und Politik“ ausmacht, lamentiert die Juso-Vorsitzende Andrea Nahles über diese „minimalkonsensuelle Formel, die lautet: sozialpolitische Versatzstücke des Kommunitarismus plus technologiefixierte Angebotsorientierung mit der Gießkanne plus Internet für alle“, auf die sich „mächtige Teile der Partei“ zu verständigen versuchten.

Die „mächtigen Teile“: das sind Schröder und Wolfgang Clement, das sind Oskar Lafontaine und Franz Müntefering. Sowohl der Kongreß als auch das vorgelegte Manifest tragen eindeutig die Handschrift des Niedersachsen und seines nordrhein-westfälischen Genossen im Geiste. Der Parteivorsitzende und vor allem der Bundesgeschäftsführer haben dafür gesorgt, daß die Planung umgesetzt wurde, ohne von den parteieigenen Interessengruppen verwässert zu werden. Als dem Parteivorstand das Konzept vorgelegt wurde, war bereits alles eingetütet, der Unmut der sich darob breitmachte, blieb konsequenzenlos.

Müntefering steht zu seiner Vorgehensweise, hält aber den Vorwurf, eine Schröder-Clement- Linie durchgezogen zu haben, für nicht berechtigt. Man habe keinen „Ingenieurkongreß“ geplant, die gesellschaftlichen und qualifikatorischen Innovationen seien gleichermaßen berücksichtigt worden.

In der Tat widmet sich das Manifest auch der Reform der Arbeitszeit und des Schulsystems, fordert neue Formen der Arbeitsorganisation, flexiblere und kürzere Arbeitszeiten sowie mehrsprachige Ausbildung und Zugang zur Datenautobahn für alle. Doch eine mögliche Umsetzung bleibt vage. Die betriebliche Umlage, auf dem letzten Bundesparteitag noch als Königsweg zur Finanzierung der beruflichen Bildung beschlossen, wird mit keinem Wort erwähnt. Man habe mit dem Manifest keine Gesetzgebungsqualität angestrebt, verteidigt Müntefering die Zurückhaltung, sondern einen breiten Einstieg in die Diskussion gewollt.

Das klingt harmlos, mißt man es daran, wohin Schröder mit dem Kongreß steuert. Zwar fällt nie der Name Blair, aber die Anlehnung an den Labour-Reformator ist unüberhörbar. Mit der Partei ins Gericht gehen, um Wirtschaft und Gesellschaft für ein wohlwollendes Urteil zu gewinnen – nach diesem Drehbuch entwickelt auch Schröder sein Modernisierungskonzept. Dabei greift er auf die siebziger Jahre zurück, als die SPD mit dem traditionellen Fortschrittsglauben gebrochen habe, der durch die Debatte über Grenzen des Wachstums und die Risiken neuer Technologien „fast vollständig eliminiert“ wurde. „Der Glaube an die unbegrenzte Fähigkeit administrativen Umweltschutzes war geboren“, wettert Schröder in Richtung Grüne.

Gegen die „Herausbildung einer neuen Bürokratiekaste, die das technologiekritische Denken in ihren Schutz nahm“, eifert er an die Adresse der eigenen Partei. „Politisch motivierten Verzicht, ja unerträgliche Langsamkeit“ beseitigen, Einseitigkeit in der Diskussion um Ökologie und Ökonomie überwinden – jeder weiß, gegen wen er redet: gegen die Bedenkenträger, die Ökolinke, die Sozialstaatsbewahrer.

Risikogesellschaft, ja bitte! Die neue Sozialdemokratie begrüßt die Risikotechnologien. Für das 100.000-Dächer-Programme zur Förderung des solaren Umbaus, ein Lieblingsprojekt der Ökolinken hat Schöder nur mildtätiges Wohlwollen über. „Weit wichtiger ist es, in (...) der Informationstechnologie und der Biotechnologie Marktführerschaft zu erreichen.“ Die Bundesrepublik müsse „die verantwortbaren Potentiale“ in der Gen- und Biotechnologie systematisch entwickeln und ausbauen.

Hier taucht, wie beim ganzen Sektor Forschung und Entwicklung, eine neue sozialdemokratische Erfolgsregion auf: die USA. Dort, wo auch die SPD noch vor wenigen Wochen das Krebsgeschwür des Neoliberalismus ausmachte, die Geißel der Reagonomics verortete, sieht sie nun einen „Beleg für eine innovationsorientierte Erfolgsstory“.

Der Clinton-Administration habe die Aufbruchstimmung geschafft. Die Hälfte der Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen der G-7-Staaten sind dort zu verzeichnen. In den USA sind bereits 1.300 bio- und gentechnologische Betriebe gegründet worden, in Deutschland mickrige 100. Die SPD, so ließ der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Wolfgang Frühwald, die Teilnehmer des Innovations-Kongresses wissen, komme mit der Wende in ihrer Einstellung zur Biotechnologie „zur rechten Zeit“, da die zweite Chance bestehe, mit den USA gleichzuziehen. „Die SPD befürwortet die Ausbau einer lebenstechnologischen Industrie“, faßt Frühwald eine zentrale Botschaft des Kongresses zusammen. Sie wird in der Partei, so ist zu erwarten, auf kritischen Widerhall stoßen.

Doch hatten sich die Kritiker nicht auch in den achtziger Jahren gegen die neuen Kommunikationstechnologien gestemmt und den Privatfunk zu Teufelszeug erklärt? Und nun moderiert Sozi Clement zwischen den drei Großen dieses Geschäfts die Aufteilung eines neuen Milliardenmarktes. Das ist der Stoff, aus dem die neuen sozialdemokratischen Erfolgsstories geschrieben werden. Dieter Rulff, Düsseldorf