Das gefälschte Filmgenie

■ Neu im Kino: „Forgotten Silver“von Peter Jackson / Neuseelands flunkernde Antwort auf bierernste Filmhistoriker

Zu den Absonderlichkeiten des Kinojubiläums „100 Jahre Kino“vor zwei Jahren gehörte die Schwemme von Dokumentationen. Filmhistoriker aus aller Herren Länder versuchten zu beweisen, daß ihre heimische Filmkultur jeweils die erste, beste, fruchtbarste oder originellste war. Die Neuseeländer waren dabei leicht im Nachteil, weil es schlicht keine Filmpioniere in ihrem Land gab. Aber dadurch ließen sich Peter Jackson und sein Kollege Costa Botes nicht verdrießen: Sie erfanden einfach ein vergessenes Filmgenie, dessen Erfindungen und Filmwerke die von Edison, Lumière, D.W.Griffith und Orson Welles in den Schatten stellten.

In ihrem Film „Forgotten Silver“werden ein paar verstaubte Filmbüchsen entdeckt, und die Filmgeschichte muß neu geschrieben werden. Es gibt keinen technischen oder künstlerischen Durchbruch in der Filmhistorie, den der Filmpionier Colin McKenzie in Neuseeland nicht schon lange vor den berühmten Amerikanern und Europäern entwickelt hat.

Tonfilm, Farbfilm, Kamerafahrt, Monumentalschinken und Rodney-King-Video: All das ist eigentlich auf seinem Mist gewachsen, und dies wollten die neuseeländischen Patrioten so gern glauben, daß Millionen Fernsehzuschauer die offensichtliche Fälschung für bare Münze nahmen. Doch Jackson übertreibt so maßlos und komisch, daß man sich nur über die Leichtgläubigkeit all der TV-Konsumenten wundern kann.

Die Fälschung an sich ist indes perfekt gelungen: Die Szenen aus den Werken McKenzies wirken nicht nur auf den ersten Blick authentisch, und in den eingeschnittenen Interviews flunkern Autoritäten des neuseeländischen und internationalen Kinos wie der Schauspieler Sam Neill und der Studioboss Harvey Weinstein sehr überzeugend über die immense Bedeutung des Werkes von McKenzie. Die logischen und filmischen Fehler, an denen man die Schummelei entdecken kann, sind gekonnt plaziert. Mal durch solch absurde Übertreibungen wie den ersten (natürlich von McKenzie gedrehten) Tonfilm der Welt, der nur deshalb kein Erfolg wurde, weil alle Schauspieler chinesisch reden, das Publikum nichts verstand und McKenzie noch nicht auf die Idee mit der Synchronisation gekommen war.

Und dann ist da die Einstellung, in der die Filmforscher im Dschungel McKenzies vergrabene Kulissenstadt entdecken und die seit über fünfzig Jahren verschlossene Tür zu den Gewölben öffnen, in denen sie schließlich die Filmrollen seines größten Filmwerkes finden. Die Kamera filmt dieses Türöffnen aus einer Position im Gewölbe selber heraus: Sie und der Kameramann müßten also all die Jahre ebenfalls vergraben gewesen sein. Nur so wäre diese Aufnahme möglich gewesen.

An solchen cineastischen Pointen merkt man, wieviel Spaß die beiden Filmemacher beim Flunkern gehabt haben müssen. Ihr mit einer großen Liebe zum Filmhandwerk gepaarter Übermut wirkt ansteckend, und so ist „Forgotten Silver“nicht nur eine viel witzigere, sondern überzeugendere Hommage an das Kino als all die fleißig recherchierten Dokumentationen, die er persifliert. Wilfried Hippen

Kino 46, Originalfassung mit Untertiteln Fr., Sa. 22.30 Uhr, So. bis Di. 18.30 Uhr