Durchs Dröhnland
: Laut und häßlich und eigentlich viel zu alt

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Sautee Nacoochee ist ein Dorf mit 260 Einwohnern im Bundesstaat Georgia. Der Vater von Paula Frazer war dort Pfarrer, die Mutter spielte die Kirchenorgel, und das Töchterchen sang im Chor. Auch wenn Frazer inzwischen in San Francisco residiert, entwirft sie doch, so geprägt, in den Klagesongs ihrer Band Tarnation den weiblichen Gegenpart zu Nick Cave. Dort, wo der beschreibt, welches letzte Whiskeyglas es zu leeren, welche letzte Straße es hinunterzugehen gilt, findet Frazer inmitten aller mystischen Melancholie immerhin noch Hoffnung: „There's a place where I know / We can walk in the flowers and the weeds where they grow.“

Ebenso kitschig wie diese Zeilen ist die Musik. Die Gitarren werden zwar verzerrt, aber sehr vorsichtig angeschlagen, Frazer singt glockenhell und der Schlagzeuger trommelt gemütlich und behutsam vor sich hin. Leise wiegt sich das Gras im sanft rauschenden Wind, die immer wieder zitierte Prärie ist die Kirche von Frazer, und Tarnation beschallen die Gottesdienste, denn, so sagt Frazer: „Gospel und weltliche Musik sind einander sehr ähnlich.“

23.5., 21 Uhr, Huxleys Cantina, Hasenheide 108–114

Was macht man eigentlich, wenn man sich schon zur Bandgründung als Popstar fühlt, der überwältigende Erfolg sich aber drei Jahre später immer noch nicht eingestellt hat? Madonna Hip Hop Massaker machen einfach weiter, was bleibt ihnen schon übrig. Demnächst erscheint eine neue Single, ein zweites Album wird im Juli folgen. Wieder einmal hört sich der Berliner Versuch, Popstrategien zu adaptieren, die man sonst nur aus England oder bestenfalls noch Japan kennt, vor allem knallig an.

Feststellen läßt sich aber, daß das neue Material nicht ganz so disparat zwischen Grunge-Gitarren, Funk-Riffs, Techno-Rhythmen und HipHop-Beats taumelt. Das Sampling ist weniger extravagant und vor allem integrierter in den Gesamtsound, der sich inzwischen gefährlich nahe hin zum Rock bewegt, Schweinegitarrensolo inklusive. Ansonsten ist alles beim alten. Sängerin Miss Megatrance träumt davon, endlich regelmäßig in den schönen „shiny magazines“ aufzutauchen.

24.5., 22 Uhr, Franz, Schönhauser Allee 36–39

Der gemeine Skateboardfahrer hört gerne wild fuchtelnde Gitarre und schnelle Trommelschläge, so geht jedenfalls die Legende. Also liefern für die „Flying High Across The Sky Skate Tour“ einschlägige Kapellen wie Millencolin, Thumb oder SNFU den Sound, während das Publikum sich zuvor ab 14 Uhr in den Pipes und auf einem Streetparcours auf dem Mariannenplatz versuchen kann.

24.5., 18 Uhr, SO 36, Oranienstraße 190

Was immer für eine Strategie hinter diesem — nach Selbstbeschreibung — „Nicht-Festival“ steckt, die Veranstalter von „Nichts ist besser“ haben eine illustre Musikantenschar dafür verpflichtet: Eröffnet wird die Woche von Uz Jsme Doma aus Prag, die schon mal gregorianische Gesänge in ihren Jazzrock integrieren. Dann bauen Kneipenbesitzer aus Neuseeland als „The Drowning Wheel“ die Lychener 60 um zur Rauminstallation mit „Spiel, Musik, Geplapper, Gefahr, bewegten Bildern und Performance“, doch was genau man zu erwarten hat, wissen selbst die Organisatoren noch nicht. Anschließend wird Eugene Chadbourne mal wieder Gitarre und Stimmbänder quälen, bevor mit Pluto und Pavel Fajt noch einmal Tschechen zum Einsatz kommen.

Lychener Straße 60, 25.5. Uz Jsme Doma, 26.–28.5. „Drowning Wheel“, 29.5. Eugene Chadbourne, 30.5. Pluto & Pavel Fajt, 31.5. Duplikat-Party

Kaum jemand hat heutzutage noch eine Platte von den Go-Gos zu Hause, aber nichtsdestotrotz gehört das kalifornische Quartett zu den einflußreichsten Acts der Wave- und Punkgeschichte, weil sie (vielleicht erstmals in der Geschichte des Pop) als all-female- outfit nicht vordergründig auf Sex-Appeal setzten, sondern größtenteils als normal-durchschnittliche Popband wahrgenommen wurden. Nach dem Ende der Go-Gos starteten Belinda Carlisle (sehr erfolgreich) und Jane Wiedlin (nicht so doll erfolgreich) Solo-Karrieren, der Rest verschwand in der Versenkung.

Während Carlisle und Wiedlin in sülzigen Mainstream abgesackt sind, halten nun die Delphines das Erbe in Ehre. Go-Gos-Gitarristin Kathy Valentine hatte sich mit Dominique Davalos eine neue Stimme gesucht, später stieß auch noch die ehemalige Go-Gos- Trommlerin Gina Schock dazu. Man kann die 60ies-Harmonien, den Pop-Appeal der Go-Gos durchaus hören, aber zum einen hat Davalos eine wesentlich rauhere, rockigere Stimme als Carlisle, zum anderen kommt Valentines Vergangenheit zum Tragen, die Anfang der 80er als Metallerin bei Girlschool ausgeholfen hat. Zu viel Süßlichkeit wird hier also nicht mit einer ungelenken Kante umgangen, sondern prompt mit einem satten Gitarrenriff abgewürgt. Dies hier ist Rock, sehr guter Rock, jedenfalls so gut Rock heutzutage noch sein kann.

25.5., 21 Uhr, Knaack, Greifswalder Straße 224

Mit einem freundlichen „Hey, Drecksau“ beginnen Die Dirnen einen ihrer Songs, der — na, wie? Ja, genau — „Drecksau“ heißt. Dann wird die Drecksau rausgelassen. Der Rest sind widersinnig hektische Gitarren, gebrüllter Gesang, schön schwitzen, die Welt beschimpfen und seinen Spaß dabei haben. Aus schnulzigen Balladen werden böse Klopper. Punkrock eben. Die Dirnen sind laut und häßlich und eigentlich viel zu alt. Und sie nehmen sich glücklicherweise nicht allzu ernst dabei.

29.5., 22 Uhr, Duncker, Dunckerstraße 64, Eintritt frei Thomas Winkler