Zwischen den Rillen
: Diggers mit Attitude

■ Von ganz weit draußen zur Seite herein: Romanthony und Tranquility Bass entern House mit Hausgemachtem. Selbst Vollbärte sind plötzlich wieder tragbar

Ein bißchen Ego gefällig? Mal wieder Lust auf so richtiges Künstlertum mit allem Drum und Dran? Ja? Dann sind Sie hier richtig. Denn Roman Anthony Moore und Michael Kandel haben Platten gemacht, die voll sind bis zum Rand mit exzentrischen Visionen, gebrochen in tausenderlei Facetten, die zusammen wiederum das große, sich ausbreitende und die peinliche Geste der Selbstübersteigerung nicht scheuende Individuum ergeben.

Während die großen Charaktere sich von der Bühne der Popmusik verabschiedet haben und zur Verwaltung ihrer Evergreens und Legenden übergegangen sind, betreten hier zwei nordamerikanische Herren die Szene durch zwei Nebeneingänge. Denn sie kommen beide aus Genres, die im großen Buch populärer Musik noch recht schmale Kapitel mit den Überschriften House und TripHop bilden. Und gerade von dort hat man Platten nicht erwartet, die mit großem Selbstbewußtsein und imponierender Selbstverständlichkeit die großen Erzählungen Rock, Rhythm & Blues und Soul einschließen. Vergleichbar sind die Alben von Romanthony (Moore) und Tranquility Bass (Kandel) deswegen nur mit den Ergüssen (bewußt phallische Anspielung!) des Egomanen, den sie Prince nannten.

Romanthony ist eine prägende Gestalt jener House-Spielart, die in New Jersey gepflegt wird und in den letzten Monaten in hiesigen Clubs wieder sehr beliebt ist. Acts wie Blaze und Wamdue Kids, die Produkte der Plattenfirma Ovum, hinter der Josh Wink und King Britt stehen, sorgen für den aktuellen Nachschub. New Jersey House ist deep. Keine knallige Kickdrum, sondern ein runder, weicher Bass, über dem sich verhaltene Saxophon- und Orgelsolos und ab und an gospelige Vocals zu Melodien aufschwingen, die dem Ganzen eine sphärische Anmutung geben. Romanthony ist dabei für die pumpende Variante zuständig, aber insbesondere bei ihm regiert eine ausgeprägte, fast klassisch zu nennene Musikalität. Und der läßt er auf „Romanworld“ freien Lauf.

Comeback des Künstlertypen: Tranquility Bass Foto: EfA

Die Doppel-CD beginnt mit einem kleinen Hörspiel, das den Weg tief hinunter in die Welt dieser Platte, in die „Romanworld“ schildert. Langsam beginnt dann eine an George Benson erinnernde Gitarrenetüde, zu der sich noch ein Bass gesellt. Nach fast einer Viertelstunde beginnt ein wuchtiger Track: „Make this live right“, eine der von Romanthonys schon vorher bekannten House-Hymnen. In diesem Wechsel zwischen „richtig“ gespielten und auf programmierten Sequenzen basierenden Stücken geht es weiter. Dabei ist das eine nicht bloße Zugabe des anderen, und man hat auch nicht den Eindruck, als wolle hier ein House- Produzent mal zeigen, was er sonst noch so kann. Sondern alles wird eins. Eben auch, weil die Tracks durch Vocals und Instrumente Songcharakter haben und einige Stücke in Doppelversionen (handgespielt und programmiert) auftauchen. Vom ersten Augenblick spürt man, daß hier jemand an etwas Großem und Ganzem, nämlich an sich selbst arbeitet. Formales Zeichen dafür ist der Verzicht auf die CD-Skips, man kann die einzelnen Stücke also nicht anwählen. Genauso machte es übrigens Prince bei seiner CD „Lovesexy“.

Wie der Meister spielt auch Romanthony auf dieser Platte alles selbst. Und er singt auch selbst. In den USA gibt er ab und an Konzerte mit einer fünfköpfigen Combo. Daß sich noch kein europäischer Promoter dafür interessierte, ist eine traurige Angelegenheit. Romanthonys Gesang mit Kopfstimme, Crooning und den ausgestoßenen Huhs und gepreßtem Mmmmhs erinnert selbstredend auch an TAFKAP.

Der kleine Mann aus Minneapolis hat seinen großen Schatten auch auf Tranquility Bass geworfen. Man sieht es schon dem Cover an, auf dem man Spuren einiger im Paisley Park erdachter Designs erkennen kann. Anders als Romanthony, dessen Reputation schon vor seinem Album groß war, kommt die TB-Platte fast aus dem Nichts. Kandel hat mit diesem Projekt bisher zwei Tracks veröffentlicht, die auf Compilations erschienen. Während der letzten zwei Jahre lebte er zurückgezogen auf einer kleinen Insel vor Seattle und spielte alleine, hier und da unterstützt von ein paar Gastmusikern, dieses in jeder Hinsicht voluminöse Album ein. So wie das Meer an die Küste des kleinen Eilandes gebrandet ist, strömt ein satter, weicher Sound aus den Boxen. Und der wird bis ins letzte Eckchen ausgefüllt von einem orchestralen Instrumentarium, das zwischen E-Gitarre, diversen Bläsern und einer Unmenge perkussiver Klöppelei alles bietet, was Kandels Handwerkskunst oder die Speicher seiner Synthesizer hergeben.

Wie bei Romanthony funktioniert auch hier der eklektizistische Rundumschlag, weil er von einer Person durchgeführt wird, die als Persönlichkeit überall durchscheint. Ob die Bossa-Nova- und Salsa-Anklänge am Anfang des Albums, die Dope-Beat- geschwängerten Stücke gegen Ende, das countryeske „Lichen Me To Wyomin'“ oder die mit brüchiger Stimme zur akustischen Klampfe vorgetragene Coverversion des Rodgers-Klassikers „Soldier's Sweetheart“ – durch den über allem liegenden Grasgeruch und durch die alles verbindende, in den Texten und der Covergestaltung vermittelte Hippie-Freak-Attitüde wird Tranquility Bass' Debütalbum zu einem Wurf, der ganz weit draußen landet, in einer länger nicht besuchten Gegend, irgendwo over the top. Martin Pesch

Romanthony: „Romanworld“ (Azuli/Import)

Tranquility Bass: „Let The Freak Flag Fly“ (Astralwerks/Efa)