Jelzin feuert Verteidigungsminister Rodionow

■ Rußlands Präsident macht Minister für das Scheitern der Armeereform verantwortlich. Ausgaben für die Streitkräfte sollen drastisch reduziert werden

Moskau (taz) – Präsident Boris Jelzin entließ gestern Verteidigungsminister Igor Rodionow und den Chef des Generalstabs, Viktor Samsonow. Damit reagierte der Oberkommandierende der Armee auf den Unwillen der russischen Streitkräfte, sich einer grundlegenden Reform zu unterziehen. „Ich bin außerordentlich unzufrieden und geradezu empört, wie die Armeereform angegangen wird und in welchem Zustand sich das Militär befindet“, sagte Jelzin auf der Sitzung des Verteidigungsrates im Kreml. Zum kommissarischen Verteidigungsminister wurde General Igor Sergejew ernannt, der bisher die Einheiten der strategischen Atomwaffen befehligte. Im Vergleich zu anderen Truppenteilen soll ihr Zustand noch passabel sein. Nicht zuletzt hat das wohl den Ausschlag gegeben, Sergejew mit diesem Posten zu betrauen.

Jelzin, der des öfteren Untergebene zusammenstaucht, wenn das seinem Image dienlich ist, hielt den versammelten Militärs eine ungewöhnlich schroffe Standpauke. Den entlassenen Rodionow kanzelte er ab, im Laufe seiner einjährigen Amtszeit absolut nichts erreicht zu haben.

Vernichtend urteilte er: „Ich schätze Ihre Leistung sehr gering ein.“ In einem Gespräch unter vier Augen muß der Geschaßte dem Präsidenten vorher gestanden haben, gegen den Widerstand des Generalstabes machtlos zu sein. Wichtigstes Ziel der Reformen, so Jelzin, sei es, die Kosten herabzusetzen. „Im Jahr 2000 darf die Armee nur noch drei bis dreieinhalb Prozent des Nettosozialproduktes kosten.“

Derzeit verschlingt der gigantische Apparat noch fünf Prozent. Er warf der militärischen Führung vor, den Reformprozeß bewußt zu unterlaufen. „Die Soldaten werden immer dünner, die Generäle immer fetter“, sagte er. „Überall in Rußland bauen sich Generäle Landsitze. Ich frage mich, wo diese Mode herkommt.“

Demgegenüber trägt die neue russische Militärdoktrin den Veränderungen Rechnung: Der verminderten Bedrohung durch einen äußeren Feind stellt sie das potentielle Anwachsen innerer Gefahren entgegen. Die notwendigen Umstrukturierungen scheinen die Militärs offenkundig nicht wahrzunehmen oder schlichtweg zu ignorieren. Am Vortag war General Kobez in das berüchtigte Lefortowo-Gefängnis gebracht worden. Ihm wird zur Last gelegt, sich auf Staatskosten eine teure Villa gebaut zu haben. Die verstärkte Antikorruptionskampagne und das entschiedene Auftreten Jelzins, die Reformen in der Armee durchzudrücken, lassen darauf schließen, daß der Kreml die Armee nicht mehr fürchtet. Klaus-Helge Donath