„Brutal aufgebrochen“

■ Der CDU-Fraktionsvorsitzende zur „Halbzeitbilanz“der Koalition

taz: Bis vor zwei Jahren hatten Sie nicht vor, Berufspolitiker zu werden...

Ronald-Mike Neumeyer: ... richtig.

Ist das nicht ein furchtbarer undankbarer Job?

Ist das jetzt schon ein Teil des Interviews?

Ja.

Es ist ein sehr spannender Job, zum Teil natürlich undankbar, aber man kann ja auch gestalten. Anders als in der Wirtschaft können Sie keinen Vorgang irgendwann als abgeschlossen betrachten. Alle Vorgänge kommen wieder auf den Tisch...

Wollen Sie irgendwann in Ihren Beruf zurück?

Ich kann mir nicht vorstellen, für die nächsten 35 Jahre Berufspolitiker zu sein.

Es ist Zeit der vorläufigen Bilanz, zwei Jahre große Koalition sind rum. Wenn jetzt Wahlkampf wäre, dann wüßte ich eine gute Parole für die SPD: Wir haben der CDU alle Macht in den für Bremen entscheidenden Wirtschaftsfragen gegeben, und das Ergebnis ist mau, unter Bundesdurchschnitt.

Ich würde der SPD antworten: Liebe Leute, verschweigt nicht, wie ihr jahrelang die erforderlichen Anpassungen verschlafen habt. Wir hatten die Ergebnisse der Vulkan-Krise zu verarbeiten, es kam trotzdem nicht zu einem Anstieg der Massenarbeitslosigkeit...

.. dank Mypegasus. Das dicke Ende kommt im Herbst.

Wollen wir mal sehen. Das Problem hat sich von 22.000 Beschäftigten auf 800 relativiert. Strukturelle Anpassungen sind auf den Weg gebracht worden, für die man vorher kein Ohr hatte. Hier wurde ja einseitig auf Monostrukturen gesetzt. Dieses haben wir brutal aufgebrochen. Es lag und liegt an den Sozialdemokraten, daß dies nicht schneller ging.

Wenn ich mir die Reden des verantwortlichen Wirtschafts-Staatsrates Frank Haller aus den letzten zehn Jahren vor Augen führe, dann hat der immer schon das gesagt, was heute Perschau sagt...

Aber die Wirtschaftssenatoren haben in der Vergangenheit nicht immer Beifall gefunden in der Landesregierung, der sie angehört haben. Herr Jäger hat in der Ampel-Koalition doch bestenfalls eine Rolle gespielt als Ausgleich gegen Herrn Fücks von den Grünen. Die Vorgänger von Jäger haben Wirtschaftspolitik als Verbindungsstück zum Vulkan betrachtet...

Das wäre Beckmeier. Aber ein Perschau von der CDU feiert doch auch nur das, was unter Jäger geplant wurde, etwa am Flughafen.

Das stimmt nicht. Es gibt eine ganze Reihe von namhaften Ansiedlungen insbesondere im Dienstleistungssektor, die jetzt konsequent umgesetzt werden. Richtig ist, daß auch in Ampel-Zeiten über solche Maßnahmen nachgedacht wurde: die Ampel war Weltmeister in Plänen, aber sie hat keinen einzigen Plan umgesetzt. Der Unterschied ist, daß wir heute nicht nur reden, sondern handeln, gestalten und umsetzen.

Bürgermeister Scherf hat zu Beginn der gemeinsamen Regierungszeit Ihren Spitzenmann Nölle mit einem gemeinen Lob bedacht. Er hat gesagt: Der Ulli, der hat die guten Kontakte in Bonn, der schafft uns die Verlängerung der Sanierungsmilliarden heran. Jetzt hat der Bundesfinanzminister weiß Gott andere Sorgen als das Bremer Loch zu füllen ...

Wenn es um Finanzen geht, dann kennt man keine Parteifreunde mehr. Das ist eine Erfahrung, die alle Parteien gleichermaßen gemacht haben. Aber der Bundesfinanzminister wird nicht alleine darüber entscheiden, ob es weitere Zahlungen an Bremen gibt. Alle Landesfinanzminister müssen wir gleichermaßen überzeugen. Da haben wir andere politische Mehrheiten, fast eine 2/3-Mehrheit von Sozialdemokraten. Ich kann Herrn Scherf mit seinen Kontakten da nicht aus der Verantwortung lassen. Die Frage, ob es weiter zu Zahlungen kommt, das wird aber davon abhängen, wieweit wir uns mit unserer Rechtsposition durchsetzen. Niemand wird freiwillig weitere Zahlungen an Bremen leisten...

... das bedeutet: Es gibt einen neuen langen Prozeß in Karlsruhe.

Wir sind auf die Verhandlungen, die bald beginnen, gut vorbereitet. Bremen mußte in dem Zeitraum, um den es dabei geht, mit über 6 Milliarden weniger auskommen, die Bremen nicht zu verantwortet hatte. Über 2 Milliarden sind durch weitere Streichungen im Haushalt gespart worden. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht festgestellt, daß Bremen einmal 10 Milliarden bekommen sollte, sondern daß Bremen hinreichend Hilfe bekommen muß, um Anschluß an die Zins-Steuer-Quote Schleswig-Holsteins zu bekommen. Offensichtlich war das mit den bisherigen Zahlungen nicht möglich.

Was stört Sie am meisten an Ihrem Koalitionspartner SPD?

Es gibt eine große Diskrepanz zwischen dem, was man mit der SPD-Führung verabreden kann, und dem, was dann innerhalb der Partei durchsetzungsfähig ist. Es stört mich, daß in der SPD eine ausgeprägte Neigung vorhanden ist, sich Veränderungen nicht zeitnah zu stellen. Das Bewahrende, was man eher in einer konservativen Partei vermuten würde, ist ganz ausgeprägt bei der Bremer Sozialdemokratie vorhanden. Nicht bei der Führungstroika. Ich glaube nicht, daß Bremen soviel Zeit hat, sich in dem langsamen Tempo der SPD zu bewegen, um den erforderlichen strukturellen Wandel zu bewältigen.

Haben Sie ein Beispiel?

Viele. Sehen Sie sich den Bereich der Bildungspolitik an, wo mit mehr Energie die gleichen Ergebnisse sehr viel früher hätten erreicht werden könnten. Ein anderes Feld ist die Frage der Zuordnung der Hafenreviere. Daß Herr Beckmeyer so lange gebraucht hat, um zu erkennen, daß wir die Hafenbecken auf dem linken Weserufer als Zukunftsoption nicht mehr benötigen, daß wir da, wo wir Nachfragebedarf an Gewerbeflächen haben, das auch zur Verfügung stellen müssen, Stichwort Technologiepark...

Ich will einmal nach positiven Wertungen fragen. Was haben die SPD-Senatoren gut gemacht, was fällt Ihnen da spontan ein?

Frau Wischer erledigt ihre Arbeit ordentlich.

Zum Beispiel?

Sie können sich die Haushaltsentwicklung da angucken...

... die Sparquoten.

Die Haushaltsansätze werden konsequent eingehalten, trotz massiver Sparanstrengungen gibt es nicht ein großes Aufbäumen in der Stadt über scheinbare soziale Ungerechtigkeiten.

Häfenressort – fällt Ihnen da etwas ein?

Der gestalterische Impuls kommt eher aus der Mitte des Parlamentes.

Auf deutsch: Das Ressort wird eher geschoben, als daß es selbst treibende Kraft wäre.

Ohne die Krise bei der BLG wäre es nicht freiwillig zur Umgestaltung gekommen. Am Ende hat das Ressort sich dann aber an die Spitze der Bewegung gesetzt.

Was hat die Bildungssenatorin gut gemacht?

Frau Kahrs ist ein Musterbeispiel für das sozialdemokratische Beharrungsvermögen. Aber wenn sie einmal eine neue Position eingenommen hat, dann setzt sie sie aber genauso beharrlich gegen ihre eigenen Freunde durch. Darin liegt ein Stück Verläßlichkeit.

Zum Beispiel?

Erhöhung er Unterrichts-Verpflichtung für Lehrer.

Fällt Ihnen sonst was Gutes zur Bildungssenatorin ein?

Die Punkte, die wir koalitionär verabredet haben, hält sie nach vielem Zureden dann am Ende ein.

Und beim Justizsenator, fällt Ihnen da was ein, was das Ressort gut gemacht hat?

Das Ressort ist in einem schwierigen Zustand. Positiv auf jeden Fall ist die Einführung von „Judith“, das ist die Haushaltssteuerung mit Selbstverantwortlichkeit.

Haben Sie Lust, nach 1999 noch einmal mit der SPD eine Koalition einzugehen?

Es ist müßig, heute darüber nachzudenken. Beide Parteien werden sich um eigene Mehrheiten bemühen. Eine große Koaliton ist keine Wunschkoalition. Gegenüber allen anderen großen Koalitionen arbeitet die Bremer Koalition aber sehr harmonisch zusammen.

„Eigene Mehrheiten“ist schön geträumt...

Es wird vermutlich wieder eine schwierige Konstellation bei den Mehrheitsbildungen. Wir würden gern stärkste politische Kraft, wenn das auch schwierig sein wird ...

Das ist vielleicht das geringere Problem. Aber ohne die SPD eine Mehrheit zu bilden...

Über Koalitionen wird nach Vorliegen der Wahlergebnisse entscheiden. Fragen: K.W.